Erst raus, nun wieder mittendrin: „Da hat sich der Protest doch gelohnt!“

Niendorf kegelt Türkiye raus - Wilhelmsburger im Tor-Dilemma

07. November 2017, 23:35 Uhr

Zehn Minuten vor Schluss betrat Björn Nadler (li.) den Rasen und bereitete in seinem erst zweiten Kurzeinsatz - dem ersten am heimischen Sachsenweg - das vorentscheidende 2:0 vor.

Ali Farhadi bezeichnete es als „schwere Geburt“, Marcus Scholz konstatierte: „Es gibt schöne Siege und es gibt solche Siege.“ Alles in allem waren sich Trainer und Manager des Niendorfer TSV also einig. Eine Gala war es nicht – aber am Ende zählt nur eines: Die „Sachsenwegler“ stehen im Viertelfinale des ODDSET-Pokals! „Eine Runde weiter – da hat sich der Protest doch gelohnt“, witzelte Farhadi – in Anlehnung an die „Verhandlungsarie“ und das Weiterkommen am grünen Tisch gegen Titelverteidiger Eintracht Norderstedt – in die Aufnahmegeräte der Pressevertreter.

Als Schiedsrichter Alexander Teuscher (SC Eilbek) in seine Pfeife blies und dem Treiben auf dem Platz ein Ende setzte, kannten die Spieler des FC Türkiye nur einen Weg: den schnellstmöglichen in die Kabine. Nur einer saß auch Minuten nach Abpfiff mit stoischem Blick noch immer auf seiner Trainerbank: Interimstrainer Klaus Klock. Es wirkte fast so, als müsste er sich selbst erst einmal sammeln und das Ausscheiden verkraften. „Ich denke darüber nach, wie ich die Jungs wieder aufrichte und was ich trainieren muss, damit wir endlich mal wieder Tore schießen“, erklärte er einige Augenblicke später auf Nachfrage, was ihm den durch den Kopf schwirren würde. Denn Fakt ist: „Das Spiel gegen Buchholz am Wochenende klammere ich mal aus. Ansonsten hatten wir zuletzt Cordi, Pinneberg und heute Niendorf. In jedem dieser Spiele waren wir mindestens gleichwertig. Aber wenn du nicht ein Tor schießt, dann ist das einfach zu wenig!“

"Nach 30 Minuten sind wir wieder ins alte Schema verfallen"

Über die gesamte Spielzeit kamen die Wilhelmsburger nicht zu einem echten Hochkaräter. Die wohl größte Chance hatte der bemühte Sascha de la Cuesta, der nach einem Angriff über Atef Zakerwal, Serhat Yapici und Nikola Stefanovic, der zur zweiten Halbzeit den stark gelb-rot-gefährdeten Medeni Kaya ersetzte, über die linke Seite und anschließender Kopfballablage von Bilyal Mustafov aus 17 Metern knapp am linken Pfosten vorbei zielte (68.). Ansonsten war es auf dem unheimlich tiefen und schweren Geläuf eine ganz zähe Veranstaltung, bei der die Gäste aber weitestgehend auf Augenhöhe agierten, weil: „Was wir in der ersten Halbzeit abgeliefert haben, das ist ganz einfach mit den Worten ‚nicht schlau‘ zu betiteln – weil wir versucht haben, Fußball zu spielen. Und das ist hier einfach nicht möglich. Türkiye hat es gut gemacht. Sie haben sich komplett zurückgezogen und eigentlich genau das gemacht, was man in so einem Spiel machen muss: Mit schnellen Kontern nach vorne stoßen und so schnell wie möglich in die Box kommen“, so Farhadi. Doch spätestens dort war auch für den kriselnden FCT Endstation. „In den ersten 30 Minuten haben wir genau das umgesetzt, was wir uns vorgenommen haben – und konnten uns auch bei Ballverlust des Gegners Torchancen erarbeiten“, so Klock, der damit auf den Versuch von Tolga Tüter (10.), der abermals äußerst unglücklich agierte, den Freistoß von Serhat Yapici (17.) sowie den Abschluss von de la Cuesta (26.) ansprach. Allerdings fehlte bei sämtlichen Schusschancen jegliche Präzision. „Danach sind wir wieder ins alte Schema verfallen. Die Mannschaftsteile waren zu weit auseinander und wir sind vorne drauf gegangen, was wir nicht wollten.“

Nadler geht "vorbildlich voran" und bereitet die Entscheidung vor

Die Folge: Yapici kam am Mittelkreis zu Fall und reklamierte ein Foulspiel. Die Partie lief jedoch weiter, Tevin Tafese steckte für Kevin Trenel durch – der umkurvte den weit aus seinem Tor herauseilenden Tobias Braun und schob ins verwaiste Tor ein. 1:0 (59.)! Zuvor verpasste Adam Benn mit der bist dato dicksten Gelegenheit bereits die Führung, als sein Kopfball nach einem Speck-Eckball gerade noch von Braun entschärft werden konnte (49.). Im zweiten Durchgang war Niendorf deutlich griffiger als noch zuvor. „Wir hatten ein, zwei Spieler bei uns, die heute wirklich nicht funktioniert haben und keine gute Form hatten. Dementsprechend haben wir zur Pause auch gewechselt, weil wir aktuell einfach auch die Möglichkeit haben, von der Bank nochmal gut nachzuschieben“, meinte Farhadi – und sprach damit vor allem auf Björn Nadler an. Am vergangenen Sonntag feierte er sein lang ersehntes Debüt im NTSV-Dress, wenn auch nur für wenige Minuten. Diesmal durfte der ehemalige Norderstedter nach langer Verletzungspause in zehn Zeigerumdrehungen sein Können unter Beweis stellen – und das tat er in der Nachspielzeit, als Brauns Abschlag völlig misslang und bei eben jenem Nadler landete. Der kombinierte sich mit dem ebenfalls in die Begegnung bekommenden Dario Streubier durch die kaum mehr vorhandene, weil inzwischen sehr weiter aufgerückte Türkiye-Hintermannschaft. Letztlich war es Streubier, der den Ball zur Entscheidung aus 16 Metern unter die Latte jagte – 2:0 (90. +1)!

"Wir haben das Spiel durch dumme Fehler hergeschenkt!"

„Ich freue mich insbesondere für Björn Nadler – und darüber, dass wir einen Spieler haben, der so vorbildlich vorangeht. Das ist der Wahnsinn. Er kommt rein und man hat sofort ein ganz anderes Spiel“, lobte Farhadi den Mittelfeld-Routinier und fügte an: „Die letzten Minuten haben mir sehr gefallen, die waren stark – auch weil Türkiye am Ende platt war.“ Dennoch hatte er für den Kontrahenten schlussendlich noch einige warme Worte übrig: „Ich denke, dass sie da unten nicht lange herumhängen werden in der Liga. Sie sind für mich nach wie vor dieser ‚kleine Geheimfavorit‘ – jetzt natürlich nicht mehr auf den Titel. Aber sie werden mit Sicherheit nicht absteigen, weil sie dafür zu stark sind. Man sieht, was da für eine individuelle Qualität drin ist. Mit ein bisschen Pech verlieren wir das. Gerade solche Spieler wie Serhat (Yapici; Anm. d. Red.) oder ‚Dela‘ (Sascha de la Cuesta) sind eine Augenweide.“ Kaufen kann sich der FCT von diesen Aussagen nicht viel. Klock bilanzierte unterdessen: „Es ist heute einfach nur sehr enttäuschend, weil wir mindestens gleichwertig waren, aber durch dumme Fehler das Spiel hergeschenkt haben und vorne einfach keine Tore machen. Glückwunsch an Niendorf!“ Für die Hausherren ist der Weg noch nicht beendet. Der Traum vom Finale lebt weiter. „Das haben wir uns eigentlich schon zu Beginn der Saison vorgenommen, so weit wie möglich zu kommen, weil man merkt, dass in diesem Wettbewerb etwas möglich ist – das wird allen Oberligisten und auch einigen Landesligisten so gehen. Es sind nicht immer die Favoriten, die im Finale landen. Aber es ist noch ein sehr weiter weg. Wir wollten im Pokal überwintern, das haben wir geschafft“, so Farhadi abschließend.

Autor: Dennis Kormanjos