Giftig, wuchtig, ehrlich und historisch: Krause(s) große Osdorf-Sause!

Osdorf siegt, „BK4“ schreibt Geschichte - Condor „zu unintelligent“

16. September 2017, 00:28 Uhr

Laut ging es zu im Siegerkreis nach dem Spiel. Der TuS Osdorf bejubelt den hochverdienten Auswärtserfolg beim SC Condor und bleibt in der Fremde unbesiegt. Foto: Kormanjos

Sie rannten an. Immer und immer wieder. Erst wurde ihnen ein klarer Elfmeter verwehrt, wenige Sekunden später zappelte der Ball zwar im Netz - doch Jeremy Wachter soll sich im Abseits befunden haben. Es war mal wieder zum Haareraufen für den TuS Osdorf, als Trainer Piet Wiehle seinen vorletzten Joker zog und die restlichen Ersatzspieler gen Auswechselbank schritten. Unter ihnen der wiedergenesene Felix Schlumbohm. „Wir kriegen noch einen“, fühlte sich der langzeitverletzte Linksfuß an die letzten Wochen erinnert. Genauso erging es Wiehle: „Was wir hier und heute alles verbraten haben, ist eigentlich sinnbildlich für die bisherige Saison. Deshalb hatte ich die Befürchtung, dass das noch bestraft wird.“ Um es vorweg zu nehmen: Bestraft wurde an diesem Freitagabend nur der SC Condor - und zwar für einen „sehr schläfrigen“ Auftritt.

Christian Woike, Trainer des SC Condor, musste nicht lange überlegen. „Da trafen heute zwei Extreme aufeinander“, befand er. „Eine Osdorfer Mannschaft, die extrem heiß, giftig, präsent und pissig war. Und eine Mannschaft von Condor, die schläfrig und langsam - vor allem auch im Kopf - war, die keine Räume gesucht und gefunden hat, ein katastrophales Passspiel hatte und keine zweiten Bälle bekommen hat.“ Damit brachte der Übungsleiter der „Raubvögel“, die mit drei Siegen am Stück eigentlich vor Selbstbewusstsein hätten strotzen müssen, die 90 Minuten auf den Punkt. Schon früh im Spiel unkte Woike: „Wieso rede ich eigentlich noch?!“, und wütete über das Defensivverhalten seiner Mannen. Denn: „Dass das Spiel wild losgehen wird, war zu erwarten und hatte ich auch angekündigt. Und wenn wir ein Gegentor kassieren würden, dass das durch einen Standard passieren wird, hatte ich ebenso angekündigt. Ärgerlich, dass es dann auch so kommt!“ Und das gleich in doppelter Ausführung.

Zwei Standards, zweimal "TK9" - je einmal Krause und Jobmann

Die Freistöße von Torben Krause brachen dem Gastgeber schon früh das Genick.

Erst brachte Till Daudert auf seiner linken Abwehrseite den ganz starken Gianluca d’Agata zu Fall, ehe Torben Krause den folgenden Freistoß direkt auf den Kopf des völlig alleingelassenen Bennet Krause zirkelte und der aus wenigen Metern wuchtig unter die Latte nickte - 0:1 (7.)! „Piet hat uns unter der Woche explizit gesagt, dass sie mit ihren drei Stürmern immer sehr weit oben stehen. Deshalb wollten wir den zweiten Pfosten besetzen. Aber dass ich da so frei zum Kopfball komme, hätte ich auch nicht gedacht. Vielleicht hatten sie mich nicht auf dem Zettel“, zeigte sich auch der Torschütze, von dem später noch die Rede sein wird, erstaunt über die ihm gewährten Freiheiten. „Das war in meinen Augen kein Foul. Trotzdem kann man es verteidigen. Und: Wir spielen bei einem Freistoß von der Seite auf Abseits, was wir noch nie gemacht haben - heute offenbar zum ersten Mal“, echauffierte sich Woike, der nur fünf Zeigerumdrehungen darauf wieder in die Fehleranalyse gehen musste. Dieses Mal düpierte d’Agata auf der anderen Seite gleich zwei viel zu halbherzig agierende und nur staunend zuschauende Condoraner. Einer von ihnen war Philipp Körner, der sich nur durch ein Foulspiel zu helfen wusste. Wieder war es „TK9“, wieder schlug er den Ball mit einer schier unglaublichen Schärfe in die Gefahrenzone, wo Tim Jobmann noch die Haarspitzen dran bekam und den Ball ins lange Eck verlängerte - 0:2 (12.)! „Da sind wir draußen in einer Zwei-gegen-Eins-Situation und verlieren einen Zweikampf, den wir nicht verlieren dürfen“, erkannte Woike, dessen Equipe mit dem Pausenpfiff zur ersten echten Torchance kam, als Jannick Martens mit seinem strammen 15-Meter-Schuss Patrick Hartmann zu einem sensationellen Reflex zwang (45.).

"Marcel Schied hat einen Pulsschlag von 18 - meine Spieler haben einen von 8000"

Der Jubel bei den Mannen in Rot nach dem blitzschnellen Führungstreffer.

Der SCC-Dompteur reagierte auf die Darbietung seiner Schützlinge mit einem Doppelwechsel, brachte mit Emre Coskun und Carlos Flores zwei neue Offensivleute ins Spiel. „Irgendwie komisch“, konstatierte Bennet Krause. Nicht die Einwechslungen des Gegners, sondern: „Normalerweise ist es ja so – und darauf hatten wir uns auch eingestellt –, dass der Gegner dann nochmal rauskommt und mehr oder minder alles nach vorne wirft. Aber das blieb aus.“ Und doch kamen die Hausherren zum Anschluss, als Coskun, der wenig später mit Adduktorenprobleme schon wieder runter musste, für Martens durchsteckte und Nico Weiser das Runde am zweiten Pfosten irgendwie ins Eckige bugsierte (62.)! Eine Initialzündung, um die große Aufholjagd einzuläuten? Nein! Stattdessen erspielte sich der Gast in unzähligen Kontersituationen nun einen Hochkaräter nach dem anderen. Als Osdorf nach einem eigentlich für jeden ersichtlichen Handspiel von Körner keinen Elfmeter zugesprochen bekam (71.) und Wachter nur Sekunden darauf nach einem tollen Spielzug über d’Agata und Prince Hüttner aus Abseitsposition traf (72.), ehe er um Zentimeter am linken Pfosten vorbei zielte (74.), schien das „Blomkamp-Unheil“ seinen Lauf zu nehmen. Denn: „Wir waren dem 3:1 deutlich näher als die dem Ausgleich und hatten einige hochkarätige Chancen. Aber wir machen es wieder spannend“, gab Bennet Krause zu Protokoll. Sein Trainer meinte derweil: „Egal gegen wen wir gespielt haben, ob gegen Dassendorf oder Victoria, wir haben immer viele Torchancen kreiert - nur das Ergebnis hat nie gestimmt. Heute war es eigentlich genau das gleiche. Ich glaube, das setzt sich bei den Spielern auch irgendwann im Kopf fest - und dann wirst du vor dem Tor auch immer ‚fickeriger‘. Im Gegensatz zu einem Marcel Schied, der gefühlte 300 Bundesligaspiele und einen Pulsschlag von 18 hat - während meine Spieler einen von 8000 haben.“

"Mit meiner Auswechslung haben wir etwas mehr Sicherheit zurückbekommen"

Gianluca d'Agata (rotes Trikot) zeigte eine bärenstarke Vorstellung für seine Osdorfer.

Selbst Woike sagte: „Nach dem 1:2 haben wir es versäumt, nachzusetzen. Stattdessen war Osdorf wieder die bessere und präsentere Mannschaft, hat aber diverse Konterchancen ausgelassen. Von daher bin ich eigentlich davon ausgegangen, dass wir noch einen machen. Meistens ist es dann ja so. Aber wir haben es auch nicht verdient gehabt! Wir waren nicht präsent genug, haben es nicht genug gewollt und waren nicht intelligent genug, um da gegen an zu spielen.“ Der dritte Osdorfer Treffer war zwar folgerichtig, fiel aber viel zu spät. Jeremy Wachter setzte, mit dem Rücken zum Tor stehend, auf rechts den emsigen Melvin Bonewald in Szene. Letztgenannter bewies einmal mehr seine Qualitäten für das Team und legte freistehend noch einmal quer für den mitgelaufenen Germain Hounsiagama - 1:3 (86.)! Doch Osdorf wäre - zumindest in der aktuellen Phase - nicht Osdorf, wenn man es nicht noch einmal spannend machen würde. Kevin Trapp fällte Weiser - Elfmeter! Jannick Martens verwandelte sicher zum 2:3 (87.)! Und so standen noch einmal heiße Schlussminuten an - zumal Referee Höhne reichlich nachspielen ließ. „Wir mögen es ja, wenn es etwas hektischer und lauter wird. Als das in der Schlussphase der Fall war, waren wir wieder richtig da“, resümierte Bennet Krause, der zudem ein überraschendes und überaus ehrliches Geständnis machte: „Mit meiner Auswechslung haben wir etwas mehr Sicherheit zurückbekommen und waren auch in den Zweikämpfen wieder präsenter, weil ich mit meiner Gelben Karte nicht mehr so hingehen konnte.“

Bennet Krause schreibt Oberliga-Geschichte

Für den „Capitano“ war es zudem eine Gelbe Karte mit historischem Wert: Denn Bennet Krause ist der erste Oberligaspieler, der eine Gelbsperre absetzen muss! Gegen Condor sah der Schütze der frühen Osdorfer Führung in der 40. Minute seinen fünften gelben Karton in dieser Saison. „Ich wusste, dass ich schon vier Gelbe Karten hatte und habe mich immer gefragt, ob man das als Profi irgendwie im Hinterkopf hat. Aber das war bei mir überhaupt nicht der Fall. Natürlich ist es schade, dass ich nächste Woche nicht dabei bin - aber so bin ich meinem Ruf ja treu geblieben“, war er anschließend sogar zu Späßen aufgelegt. Sicherlich auch, weil sein Team den „hochverdienten Sieg“, wie auch Wiehle bilanzierte, über die Runden brachte. „Wir haben über 90 Minuten ein geiles Spiel gemacht. In der Höhe vielleicht zu niedrig gewonnen, aber darüber will ich mich mal nicht beschweren. Denn wir sind froh, die drei Punkte im Karton zu haben. Wir sind in jedem Spiel heiß und müssen ja irgendwie ein paar mehr Prozent geben, um da unten rauszukommen. Deswegen haben wir heute vielleicht zwei Prozent mehr drin gehabt als der Gegner“, resümierte Wiehle. Dem widersprach Woike: „Ich sehe es nicht so wie Piet. Die waren heute deutlich heißer als sonst. Ich habe sie zweimal gesehen und heute haben sie eine ganz andere Mentalität an den Tag gelegt - wir aber auch. Osdorf hat so gespielt wie Osdorf spielt. Die haben uns auf ihr Niveau gezogen und uns mit deren Erfahrung geschlagen. Man darf sich nicht auf deren Spiel einlassen - aber wir haben es leider gemacht und das ärgert mich am meisten. Hätten wir unser Spiel durchgezogen, wären wir als Sieger vom Platz gegangen“, war sich der SCC-Coach sicher. Aber: „Wir waren zu wild, haben die Bälle zu schnell verloren, die Angriffe nicht gut vorbereitet - und zu oft die falschen Entscheidungen getroffen. Den Willen spreche ich keinem ab. Der war da. Aber wir haben es nicht intelligent gelöst.“

"Ich hatte mich eigentlich auf mehr Trashtalk eingestellt"

Ungläubig reißt Christian Woike die Arme nach dem zweiten Gegentor hoch.

Dabei hat sich der TuS Osdorf auf einen hochemotionalen Fight eingestellt, der seinen Ursprung noch am letzten Spieltag der Vorsaison hat. Damals pochten die „Blomkampler“ nach dem Abbruch am Berner Heerweg auf eine Neuansetzung, weil man die Saison als bester Aufsteiger und die Rückrunde als bestes Team beenden wollte. Condor wiederum hatte arge Personalprobleme und bekam keine Truppe zusammen, weshalb der TuS die drei Punkte am grünen Tisch einheimste, was noch im Nachgang für großen Missmut zwischen beiden Vereinen führte. „Aufgrund des letzten Jahres war auch noch ein bisschen Brisanz drin, wovon sowohl bei den Spielern als auch bei den Funktionären eigentlich nichts zu spüren war“, befand Bennet Krause. „Da hatte ich mich eigentlich auf etwas mehr Trashtalk eingestellt. Aber ich fand’s ganz cool, dass es so abgelaufen ist.“ Cool war auch der Auftritt des TuS Osdorf, der sich durch diesen Dreier ein wenig Luft verschafft und seine Serie fortsetzt. Alle acht Punkte wurden bisher nämlich in der Fremde geholt. „In der Vergangenheit war das ja unser Prunkstück, dass wir zu Hause die Punkte geholt haben. So standen wir auswärts ein bisschen unter Druck und wollten hier auf jeden Fall etwas mitnehmen“, erklärte B. Krause. Diesem Druck hat seine Mannschaft bravourös standgehalten.

Autor: Dennis Kormanjos

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