Zunge raus, Gegner raus: HR gelingt Überraschung im „unwichtigsten Spiel“

Barthel-Schützlinge bezwingen schwache Dassendorfer mit 1:0

17. April 2017, 18:02 Uhr

HR-Coach Heiko Barthel freut sich im Kreise der Seinen über das Weiterkommen. Foto: Heiden

Für alte Fußball-Weisheiten muss man mancherorts zwar ins Phrasenschwein zahlen, doch dass sie so falsch nicht sind, zeigte das Viertelfinalspiel des ODDSET-Pokals zwischen der SV Halstenbek-Rellingen. Denn im Aufeinandertreffen der beiden Oberligisten hatte der Cup-Wettbewerb mal wieder sein eigenes Gesetz. Gegen den Favoriten vom Wendelweg behielt HR am heutigen Nachmittag mit 1:0 die Oberhand und bestätigte damit ein ganz anderes Gesetz: das nämlich, dass die TuS einfach seit Jahren immer wieder vorm Finale scheitert...

Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Heiko Barthel am liebsten hätte mitmischen wollen. Nicht an der Seitenlinie, wo der Coach der SV Halstenbek-Rellingen stand, sondern lieber noch auf dem Spielfeld. Barthel hatte den Stoff seiner dunklen Trainingshose an den Beinen so weit nach oben gezogen, so dass die Waden des 42-Jährigen hervorschauten. Er rief Anweisungen aufs Spielfeld, er gestikulierte. Kurz gesagt: Barthel versuchte alles. Und immer wieder schaute der HR-Trainer auf die Uhr. Dann war es soweit: Referee Philip Roedig (Altona 93) führte seine Pfeife zum finalen Pfiff an den Mund. Barthel riss jubelnd die Arme in die Höhe. Das Anfeuern, das Mitfiebern, das ins Zeug legen – es hatte sich in diesem Moment gelohnt. Dem Außenseiter war dank des 1:0-Erfolges gegen den Favoriten aus Dassendorf soeben der Sprung ins Pokal-Halbfinale gelungen.

Okafors Außenrist-Schuss mündet in Halstenbeker Glücksmoment

Der Torschütze im Zweikampf: Christian Okafor (re.) versucht vergeblich, gegen Dassendorfs Pascal Nägele an den Ball zu kommen. Foto: Heiden

Bei der anschließenden Pressekonferenz waren dann alle längst bereit – nur Heiko Barthel fehlte. Offenbar brauchte der hauptberufliche Feuerwehrmann noch ein paar Minuten länger, um sich mit seinen Mannen zu freuen und nach dem aufgebrandeten Jubel wieder etwas zur Ruhe, sprich auf Normaltemperatur, zu kommen. Doch als noch während der Pressekonferenz die Auslosung des Halbfinales verkündet wurde, das HR mit Altona 93 wieder einen Oberligisten beschert, war das Feuer in Barthel schon wieder entfacht. „Altona zuhause? Da applaudieren wir – glaube ich. Sehr schön“, sagte der HR-Coach, lachte kurz und kündigte an: „Das wird ein schönes Spiel. Das verspreche ich euch“, woraufhin sein Widerpart, Dassendorfs Übungsleiter Thomas Hoffmann nachlegte: „Altona zuhause – das Los hätten wir auch gerne gehabt. Da bin ich jetzt schon ein bisschen neidisch.“

Dass sich nach dem Spiel vor den 200 Zuschauern auf dem Jacob-Thode-Sportplatz Barthel und nicht Hoffmann über ein weiteres Spiel im laufenden ODDSET-Pokal-Wettbewerb freuen konnte, war in erster Linie einer Szene aus der 44. Minute geschuldet: HRs Niklas Seibert hatte auf der linken Seite kurz vor der Eckfahne den Ball am Fuß und legte ihn von dort zurück in den Rücken der Abwehr. Das Anspiel fand Christian Okafor, der gut 20 – vielleicht sogar 25 – Meter vor dem Kasten so postiert stand, dass er die Kugel nur mit dem Außenrist direkt aufs Tor hätte bringen könne. Und: Okafor tat genau das! Mit dem Außenrist seines rechten Fußes traf er das Spielgerät dabei so optimal, dass die Kugel im Flug einen Bogen machte. Die Phase, in der der Ball in der Luft war, wurde lang und länger, dann schlug er im rechten oberen Winkel des TuS-Tores ein. Okafor drehte jubelnd Richtung Eckfahne ab.

„Wenn wir unsere Chancen nutzen, wäre das Ding schon fast durch“

TuS-Trainer Thomas Hoffmann war nach dem Schlusspfiff enttäuscht. Foto: Heiden

„Ich weiß gar nicht, wie er das gemacht hat“, beschied Heiko Barthel nach dem Spiel, „auf einmal war der drin.“ Zuvor allerdings, und das sprach auch der HR-Coach an, „hätten wir nach 15 Minuten schon 0:2 hinten liegen können.“ Denn in der Tat spielte zunächst nur eine Mannschaft: die TuS Dassendorf. Nach einem Eckball von Sven Möller köpfte André Ladendorf vorbei (2.), dann schlug HR-Verteidiger Sebastian Krabbes im eigenen Sechzehner so über den Ball, dass Kristof Kurczynski aufs Tor hätte schießen können. Sein Versuch jedoch wurde zur Vorlage für Julian Kerschke, dessen Schuss Halstenbeks Schlussmann Mirko Oest parierte. Kurczynski (11.) verpasste schließlich nach einer scharfen Hereingabe von Finn Thomas erneut (11.), ehe HR zur ersten Gelegenheit kam, als Sergio Batista Monteiro schön für Okafor durchsteckte, dieser aber erst an Frederic Böse im Dassendorfer Gehäuse scheiterte, ehe dann auch der Nachschuss abgewehrt wurde (37.).

„Wenn wir unsere Chancen nutzen, wäre das Ding schon fast durch“, fasste Dassendorfs Ersatzkeeper Christian Gruhne zur Pause treffend zusammen. Nach dem Seitenwechsel wurde der Gast dann aber nur noch drei Mal gefährlich Das Spiel zu drehen vermochten aber weder Kurczynski, der nach einer Möller-Ecke vorbei köpfte (67.), noch Möller (72., per Freistoß) als auch Ladendorf (82., nach einer Ecke). Beinahe hätte vielmehr sogar HR noch das 2:0 an diesem Nachmittag erzielt, doch nachdem ein Freistoß von links auf der rechten Seite des Sechzehners gelandet war, von wo Okafor den Ball flach zurück in die Mitte spielte, war dort der eben gerade eingewechselte Robert Hermanowicz einen Tick zu überrascht, um sich im Duell mit Joe Warmbier zu behaupten und die Kugel im Netz zu versenken. So blieb es beim knappen 1:0 und Heiko Barthel und seine Mannen mussten bis in die vierte Minute der Nachspielzeit zittern, ehe sie der Abpfiff erlöste und ihnen den Einzug ins Halbfinale bescherte.

„Die zweite Halbzeit war Überlebenskampf pur“

Mit harten Bandagen: Dassendorfs Juian Kerschke (li.) im Duell mit HRs Dennis Ghadimi. Foto: Heiden

„HR hat“, so konstatierte TuS-Trainer Thomas Hoffmann im Nachgang der Partie, „eine großartige kämpferische Leistung gezeigt. Aus meiner Sicht hätte die Partie nach 15 Minuten zu unseren Gunsten vorbei sein können. Da hatten wir drei Hochkaräter, die wir leider nicht nutzen.“ Stattdessen, so Hoffmann weiter, „haben wir ab der 20 Minute die Spielkontrolle verloren. HR kam besser rein, hat sich ins Spiel gefightet und besaß die gute Chance, die Freddy Böse gehalten hat. Das Tor kurz vor der Halbzeit war dann ein ganz komischer Schuss.“ Nach der Pause, konstatierte „Hoffi“ in seiner Spielanalyse, „haben wir nicht mehr so klar nach vorne gespielt. Wir hatten zwar viel Ballbesitz, aber es ist dabei nicht viel herumgekommen. HR hat sich einfach in jeden Ball reingefeuert und gekämpft.“

Neben Hoffman konnte sich Barthel ein kleines Grinsen nicht verkneifen. „Das ist komplett richtig zusammengefasst“, begann der HR-Coach sein Statement zum Spiel und bestätigte: „Wir konnten zwar von Beginn an befreit reingehen, weil das für uns das unwichtigste Spiel war, was noch auf uns wartete, weil wir in der Liga noch mitten im Abstiegskampf stecken, aber wir waren zu fahrig. Erst ab der 25 Minute haben die Jungs dran geglaubt, dass hier etwas geht. Die Phase bis dahin haben wir mit Glück überstanden.“ Mit zunehmender Spielzeit, so Bartthel, hätte seine Equipe begriffen, dass „was geht, wenn man zusammenhält. Die zweite Halbzeit war dann Überlebenskampf pur. Die Jungs liegen jetzt krampfender Weise in der Kabine.“ Aber: Anders als die TuS Dassendorf dürfen sie sich ja jetzt auf den Halbfinal-Vergleich mit Altona 93 freuen. Da nimmt man so eine vorbeigehende körperliche Schwächung schonmal für in Kauf...

Jan Knötzsch

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