Oberliga

Schützende Hand, „Dasse-Schreck“ und Last-Minute-Traumtor-Schütze: „Basti“ bringt „Jonny“ auf die Palme

15. Februar 2020, 19:16 Uhr

Avancierte zum „Man of the Match“ und war erneut der „Dasse-Schreck“: Curslack-Verteidiger Sebastian Spiewak sorgte in der Nachspielzeit für kollektiven Jubel bei den „Deichkickern“. Foto: KBS-Picture.de

„Ja man!“, schrie Sebastian Spiewak seine Freude heraus, ehe Oliver Franz und Yanneck Schlufter als erste Gratulanten herbeieilten. Als Curslack-Keeper Gianluca Babuschkin seinen „Abwehrchef“ dann auch noch hochleben ließ und Gökhan Iscan im Kreis mit einem breiten Grinsen konstatierte: „Basti, Junge - der ist immer noch unterwegs“, war klar, dass Spiewak etwas Besonderes vollbracht hatte (alle Highlights im LIVE-Ticker). So besonders, dass sich selbst Dassendorf-Sportchef Jan Schönteich auf der Pressekonferenz nach dem Derby „persönlich betroffen“ zeigte. Der Grund: „Ich habe hier ungefähr sechs Jahre gespielt und 19 Tore geschossen. Herr Spiewak hat mich heute in der Torjägerliste nur auf diesem Platz hier überholt. Ich glaube, er hat heute sein 20. Tor bei uns gemacht“, konnte Schönteich die Last-Minute-Punktverluste nur „mit Sarkasmus“ hinnehmen. „Anders komme ich damit nicht klar.“

Hatte gut lachen nach seiner Rückkehr als Trainer: Christian Woike holte mit dem SVCN einen verdienten Punkt beim Primus aus Dassendorf. Foto: KBS-Picture.de

Dabei hatte Sebastian Spiewak zunächst eine ganz andere Rolle inne. Als Teamkollege Moritz Kühn nach einem der ganz wenigen gelungenen und wirklich sehenswert vorgetragenen Angriffe des Tabellenführers über Len Aike Strömer, Kristof Kurczynski und Maximilian Dittrich in die eigenen Maschen traf (61.), war es der 28-Jährige, der seinen Mannschaftskameraden tröstete und mit Worten gleichzeitig wieder aufrichtete. Als die Nachspielzeit bereits im Gange war, bekam der wankende Oberliga-Primus das Leder nicht aus der Gefahrenzone. Hamed Mokhlis legte für Spiewak ab. Dieser stoppte das Spielgerät und jagte es aus 18 Metern in den linken Knick - ein unfassbarer Strahl, der für kollektives Ausrasten bei den Gästen sorgte und zeitgleich zum Last-Second-Ausgleichstreffer des HSV bei Hannover 96 (1:1) durch Joel Pohjanpalo vonstattenging (90. +1)! „Ich hab‘ einfach mal drauf gehauen“, erklärte Spiewak seinen Geniestreich wenig später - und scherzte: „Die Ecke hab‘ ich mir natürlich auch genau ausgesucht.“ Und weiter: „Das mache ich nicht nur einmal, sondern in jedem Training“, witzelte der „Dasse-Schreck“, der auch wusste: „Irgendwie klappt es gegen Dassendorf fast immer.“ Sonst allerdings zumeist per Kopf. Diesmal ließ er allerdings seinen rechten Fuß für sich sprechen. „Das war ein Tor, was ich auch nicht erklären kann“, staunte selbst sein neuer Trainer Christian Woike nicht schlecht. „Trainiert war das nicht - das kann ich definitiv sagen“, gestand der langjährige Condor-Coach, der im Winter die Nachfolge von Matthias Wulff angetreten hat. „Dass er Jan (Schönteich; Anm. d. Red.) überholt hat, ist das eine. Das andere ist, dass er für uns heute sehr wertvoll geknipst hat - und das nicht nur aufgrund der Tabellensituation und weil wir hier mit einem Punkt wegfahren, sondern vor allem auch, weil es mich für die Mannschaft unheimlich freut. Sie hat heute im gesamten Kollektiv - auch die verletzten Spieler, davon hatten wir heute leider einige, aber sie waren dabei, und die Jungs, die auf der Bank waren - ein ganz großes Spiel gemacht hat.“

Carolus brennen sämtliche Sicherungen durch - „Das finde ich nicht ganz so clever“

Die rund 100 angereisten Dresden-Fans, die nach dem DFB-Pokal-Aufeinandertreffen inzwischen eine Fan-Freundschaft zur TuS Dassendorf pflegen, sorgten für Stimmung. Foto: KBS-Picture.de

Dass die „Deichkicker“ am Ende noch Grund zum Jubeln hatten, lag einerseits am stets vorhandenen Glauben, den sie über die gesamte Spielzeit hinweg ausstrahlten. Andererseits am Verhalten von Kerim Carolus, der seinem Team einen Bärendienst erwies und wegen wiederholten Meckerns die längst überfällige Ampelkarte sah (85.). Nachdem er nahezu das gesamte Spiel über mit ständigem Reklamieren beschäftigt war und die Quittung bekam, ließ er auf dem Boden sitzend in Richtung Referee Marco Kulawiak (SC Teutonia 10) noch folgenden Satz fallen: „Du bist ein Witz!“ Ein Verhalten, das auch sein Übungsleiter Jean-Pierre Richter scharf kritisierte: „Ich glaube, unsere Mannschaft hat das empfinden, dass es eine harte Gelb-Rote Karte war. Aber wenn ich schon eine Gelbe Karte im Rücken habe und weiß, dass ich nächsten Freitag mit der fünften Gelbe eine Sperre hätte absitzen müssen, mir dann aber noch Gelb-Rot abhole, damit man nochmal auf vier Gelbe zurückfällt, dann finde ich das nicht ganz so clever.“ Speziell bei einem Spieler mit der Erfahrung eines Kerim Carolus. „Ja, das sollte nicht passieren“, entgegnete „JPR“ auf Nachfrage. „Die erste Gelbe ist wegen einer Diskussion, ob es eine Ecke ist oder nicht. Bei aller Liebe, aber selbst wenn es keine Ecke ist, brauche ich mir da keinen Karton abholen.“ Kurz vor Ultimo beschwerte sich der Regionalliga-erprobte Verteidiger über ein nicht geahndetes und vermeintliches Foulspiel an seiner Person. Leider habe man generell „viele Situationen so gelöst, dass wir Karten gesammelt und uns mit Sachen auseinandergesetzt haben, die nicht so viel mit Ball und Gegner zu tun hatten“, ärgerte sich Richter.

„Ein Riesenerfolg in der jetzigen Situation“ - trotz „48 Ausfällen im Sturm“

Kerim Carolus (un.) erwies seinem Team einen riesengroßen Bärendienst. Foto: KBS-Picture.de

Während Woike die von Schönteich verteilten „Glückwünsche“ zum Punktgewinn, die keineswegs überheblich gemeint waren, nur zu gerne entgegennahm: „Ich find’s auch gar nicht überheblich. Uns trennen 37 Punkte - von daher nehme ich den Glückwunsch definitiv an“, entgegnete Woike, der die Pressemeute mit einem „Grüß Gott alle zusammen“ wieder in Empfang nahm - und sich auch über die rund 100 anwesenden Fans von Dynamo Dresden, die mit ein wenig Pyrotechnik für ein farbenfrohes Spiel sorgten, freute: „Mit Gelb-Schwarz empfangen zu werden, macht es mir natürlich viel einfacher, auch wieder an die alte Zeit (Vereinsfarben beim SC Condor, wo Woike lange Trainer war; Anm. d. Red.) anzuknüpfen und nun das erste Mal in Blau aufzulaufen.“ Die Bilanz nach seinem ersten Pflichtspiel als SVCN-Dompteur: „Ich bin sehr zufrieden mit meiner Mannschaft. Wir haben einen Riesen-Fight abgeliefert, das Spiel zu 100 Prozent angenommen - und es weitestgehend auch von unserem Tor weggehalten. Ich habe nicht viele zwingende Torchancen von Dassendorf gesehen. Ich glaube, die gefährlichsten Situationen waren, wenn wir Abstoß hatten“, zeigten beide Torhüter mehrfach Schwächen bei ihren Abschlägen. Er habe eine „sehr geschlossene Mannschaftsleistung“ gesehen, so Woike, der auch nach vorne die eine oder andere Lösung sah. Wenngleich das Fehlen von Top-Torjäger Marco Schubring, Benjamin Bambur oder auch Arnold Lechler (Woike: „Offensiv sind wir gut, auch wenn 48 Mittelstürmer bei uns verletzt sind“) deutlich wurde. Demnach war der Punktgewinn für sein Team „ein Riesenerfolg in der jetzigen Situation, in der wir stecken. Ich bin froh, dass ich wieder da bin - und darüber, dass wir einen Punkt mitgenommen haben.“

„Wir haben uns heute selbst geschlagen!“

Sebastian Spiewak (Mi.) wird nach seinem Ausgleichstreffer von den Teamkollegen gefeiert. Foto: KBS-Picture.de

Dem hielt Richter entgegen: „Ich würde das, was ‚Crille‘ gesagt hat, einfach nur auf Negativität umwandeln. Dann passt das. Denn wir haben uns heute selbst geschlagen!“, kritisierte er den behäbigen und äußerst schwerfälligen Auftritt seiner Schützlinge - sowie die Undiszipliniertheiten: „Wir haben sechs Gelbe Karten. Einen hat es sogar doppelt getroffen. Die Hälfte davon war wegen unsportlichen Verhaltens. Das zeigt dann auch, dass wir heute von der Disziplin her die Punkte nicht verdient haben.“ Dass es letztlich so kam, dafür sorgte Sebastian Spiewak, der nach seinem Traumtor wiederum befand: „Wir haben es verdient, den einen Punkt mitzunehmen. Klar war Dassendorf etwas überlegen und hatte mehr Spielanteile, aber ich finde auch: Wenn wir uns bei dem Tor nicht zu schade sind, den Ball vorher einfach mal wegzuknallen, wie die das eigentlich auch über 90 Minuten nur gemacht haben, kassieren wir auch gar nicht so eine Gurke.“ Seine Mannen haben „vor allem kämpferisch stark mitgehalten“, wie er meinte. „Es war ja klar, dass wir das Spiel nicht dominieren würden. Irgendwann hat sich Dassendorf auch untereinander nicht mehr so gut verstanden. Genau da wollten wir hinkommen. Das sind alles erfahrene nicht nur Oberligaspieler. Gegen so eine Mannschaft hat man im Spiel maximal drei oder vier Situationen - und eine davon muss einfach sitzen.“

Woike verteilt doppeltes Sonderlob: Spiewak-Partner überzeugt, Youngster besteht „Feuertaufe“

Sebastian Spiewak (li.) wird von Florian Rogge geherzt. Foto: KBS-Picture.de

Das war der Fall - und so eilten zwei Mann nach Schlusspfiff als erste Gratulanten herbei, die sich ebenfalls ein Sonderlob verdienten. Zum einen wäre da Spiewaks Innenverteidiger-Partner Oliver Franz. „Wenn man die Vita von ihm kennt - er kommt nicht von oben zu uns runter, sondern hat den Weg von unten nach oben genommen -, dann kann man sehen, was man mit Fleiß, Einsatz und Engagement in fünf Wochen Vorbereitung erreichen kann. Seine Leistung hat mich sehr gefreut für ihn.“ Und dann wäre da noch Yanneck Schlufter, der Maximilian Dittrich bis auf die eine Situation, die zur TuS-Führung führte, komplett kaltgestellt hat. Und das, obwohl er in der Pause sogar signalisierte, nicht weitermachen zu können. „Ich habe in den anderthalb Jahren, die ich ausgesetzt habe, eine Ausbildung zum Heilpraktiker gemacht“, sorgte Woike für ein gepflegtes Gelächter im PK-Raum. Schon früh im Spiel kassierte Schlufter einen Schlag von Dittrich ins Gesicht, was Kulawiak nicht wahrnahm und nur mit einer Ermahnung gegen den Dassendorfer ahndete. „Er ist ein ganz junger Spieler, hat einen Ellbogen aufs Jochbein abbekommen und über Schwindel und Übelkeit geklagt. Das haben wir durch gut zureden und mit einem nassen Lappen hinbekommen. Ich glaube, jetzt ist er im Herrenfußball angekommen. Das war seine Feuertaufe. Jetzt kann ihm auch schlecht sein bis morgen - und am Montag beim Training ist alles wieder gut“, meldete sich Woike mit seiner ganz eigenen und in den richtigen Momenten ironischen Art und Weise zurück im Hamburger Amateurfußball - und das auch noch sportlich erfolgreich...

Autor: Dennis Kormanjos