Oberliga

Per Fallrückzieher: Petzschke-Pointe gegen die „Ex“ führt zur AFC-Krönung!

11. Oktober 2022, 23:13 Uhr

Der krönende Matchwinner gegen den Ex-Club: Per Fallrückzieher überwand Yannick Petzschke seinen dicken "Buddy" Dennis Lohmann. Foto: Kormanjos

Es sind schier unglaubliche Zahlen, die für die ganze Tradition beider Vereine stehen und sprechen: Vor sage und schreibe 124 Jahren, in der Saison 1898/1899, trafen der Altonaer Fussball-Club und der SC Victoria Hamburg erstmalig aufeinander. Mittlerweile gab es zwischen dem 1893 gegründeten AFC und dem seit 1895 bestehenden SCV sage und schreibe 135 direkte Vergleiche auf Punktspielebene, wie die „Hafo“-Statistikzentrale errechnet hat. Die Bilanz: 59 Siege für Altona, 23 Remis, 53 Siege für Vicky. Am Dienstagabend bauten die „Bergmänner“ ihre Serie aus – und das nicht zuletzt dank eines ehemaligen Victorianers (alle Highlights im LIVE-Ticker)...

Die Mannschaften betreten den Platz auf der alt-ehrwürdigen Adolf-Jäger-Kampfbahn. Foto: Kormanjos

Es ist eine Geschichte, die nur der Fußball schreibt. Eine Story, die fast kitschiger als jedes Märchen und abstruser als jede noch so schnulzige Seifenoper klingt. Und doch entspricht sie der Wahrheit! Fünf Jahre lang trug er das Trikot des SC Victoria, wurde von etlichen Verletzungen und Rückschlägen gebeutelt, kämpfte sich aber immer wieder zurück – und war dann doch nicht mehr gewollt: Im Sommer verließ Yannick Petzschke die Hoheluft in Richtung „AJK“, wo er seither unumstrittener Stammspieler in der Innenverteidigung und Abwehrchef ist. In sämtlichen zehn Partien stand der 30-Jährige beim AFC in der Startelf – und nun kam es zum Wiedersehen mit seinen ehemaligen und zum Teil langjährigen Teamkollegen.

"Ich bin sprachlos!"

Die Mannschaften stehen bereit - und auch die beiden Vorsitzenden Dirk Barthel (li.) und Ronald Lotz nehmen ihre Plätze ein. Foto: Kormanjos

Die 64. Spielminute war angebrochen, als eben jener Petzschke die krönende Pointe setzte. Per Fallrückzieher (!) beförderte der eigentlich als Mann fürs Grobe vorgesehene Verteidiger eine Ecke von Moritz Grosche aus 13 Metern im hohen Bogen über seinen dicken „Buddy“ Dennis Lohmann hinweg ins Altonaer sowie in sein ganz persönliches Glück! AFC-Coach Andreas Bergmann konnte es auch Minuten nach Abpfiff noch gar nicht richtig fassen: „Ich bin sprachlos!“, entgegnete er auf Nachfrage. Während der bereits zum Interview bereitstehende Kunstschütze und „Ex-Vernichter“ schmunzelnd erwiderte: „Einstudiert, oder?“ Anschließend verriet er im Gespräch noch ein ganz besonderes Geheimnis im Vorfeld des Spiels (siehe Video).

Wenige Vicky-Anhänger zündeten nach der Pause blau-gelbe Pyro. Foto: Kormanjos

Während die Mannschaften im Kabinentrakt zum Einmarsch der „Gladiatoren“ bereit standen, fielen sich die beiden Präsidenten in die Arme, spendeten den Hauptprotagonisten eifrig Beifall und nahmen dann nebeneinander auf der Tribüne der alt-ehrwürdigen Adolf-Jäger-Kampfbahn Platz. Dort fachsimpelten Dirk Barthel (AFC) und Ronald Lotz (SCV) – auch über die ungeheure Tradition der „Hamburger Schwergewichte“? Das älteste Derby Deutschlands wurde seinem Namen auch sportlich vollauf gerecht – zumindest aus Altonaer Sicht! Die 93er suchten gegen die 95er sofort den Weg nach vorne. Das erste Ausrufezeichen setzte, dem Anlass entsprechend, Kevin Prinz von Anhalt: Nach einem starken Solospurt aus dem Mittelkreis musste er sich nur dem linken Innenpfosten beugen (8.). Da fehlten nur Zentimeter – viele der 869 Zuschauer hatten den Torschrei bereits auf den Lippen!

Choupo Moting-Trikots verleihen dem AFC Flügel

Der AFC war die aktivere, griffigere und gefährlichere Mannschaft. Quasi mit dem Pausenpfiff zwang Bujar Sejdija mit seinem Linksschuss Vicky-Fänger Dennis Lohmann zu einer glänzenden Fußparade (45. +1). Die neuen und eigens für das ganz besondere Spiel designten Trikots von Bayern-Profi Eric Maxim Choupo-Moting, der einst drei Jahre lang in der Jugend für den AFC aktiv war, versprühten zusätzlichen Glanz in der Hütte. Das Manko: Den auch spielerisch starken und überzeugenden Hausherren fehlte der Torerfolg. „Wir haben viel zu viel liegen gelassen, hätten zur Pause eigentlich schon führen müssen“, befand Bergmann. „Aber wir haben uns gesagt, dass wir griffig bleiben und genau so weitermachen wollen.“

"Wir haben im Kollektiv versagt"

Die Spieler bejubeln das entscheidende 2:0 kurz vor Schluss durch Narek Abrahamyan. Foto: Kormanjos

Gesagt, getan. Auch Sören Titze machte keinen Hehl aus seiner Enttäuschung über den Auftritt seiner Mannen in den ersten 45 Minuten. Das sei „eine ganz einfache Analyse: Wir haben im Kollektiv versagt und konnten wir froh sein, dass es 0:0 stand – das war das Beste an der ersten Halbzeit. Danach haben wir es nicht gut, aber besser gemacht, Laufbereitschaft gezeigt und waren etwas mutiger. Wir hatten auch unsere Möglichkeiten und es war ausgeglichener. Da ist es ärgerlich, dass du durch zwei Ecken zwei Tore bekommst. Denn in der ersten Halbzeit hatte Altona ganz andere Möglichkeiten“, sprach der Vicky-Coach unter anderem auf Petzschkes fulminanten Fallrückzieher an. „In einer Phase, wo wir uns ein bisschen erholt hatten.“

Hartwig kläglich, Abrahamyan traumhaft

Zwar bot sich dem einstigen Altonaer Magnus Hartwig fünf Minuten vor Ultimo die ganz fette Ausgleichschance, als er freistehend kläglich vergab (Titze: „Ich würde sagen, dass ist ein 'Tausender', weil man besser nicht zum Abschluss kommen kann“), aber wenige Augenblicke später setzte Narek Abrahamyan nach einer kurz ausgeführten Ecke im Zusammenspiel mit Armel Gohoua, der nach seiner Einwechslung behäbigen Victorianern ein ums andere Mal einen Knoten in die Beine spielte, den endgültigen Knockout für die Gäste (89.)!

"Das fand ich schlimm!"

Narek Abrahamyan steuerte unmittelbar nach Schlusspfiff auf seinen eigenen "Fan-Anhang" zu. Foto: Kormanjos

Die beste Saisonleistung des Regionalliga-Absteigers? „Ja, fußballerisch schon“, sah auch Bergmann einen starken Auftritt seiner Schützlinge. „In der zweiten Halbzeit gab es die eine oder andere Aktion, wo es ein bisschen unruhig wurde. Aber insgesamt haben wir wenig zugelassen. Für die Mannschaft ist das super. Wir waren griffiger und wollten es einfach“, strahlte der ehemalige Bundesliga-Trainer. Während sein Gegenüber noch immer mit der Darbietung im ersten Abschnitt haderte: „Wir hatten definitiv nicht den Plan, auf diesem Platz alles spielerisch zu lösen. Aber wir haben im Kollektiv nicht das umgesetzt, was wir wollten. Die Einstellung, wie wir in die Bälle reingegangen sind und wie weit wir von den Leuten weg waren – das fand ich schlimm. Wir haben gar keinen Druck auf den Ball bekommen und waren immer einen Schritt zu spät. Wir waren einfach mental und auch körperlich nicht anwesend.“

Hinten die Null gehalten und alles abgeräumt, vorne das im Eishockey als „Game Winner“ bezeichnete und so immens wichtige 1:0 erzielt – und wie: Es war nicht nur der Abend des AFC, sondern vor allem auch das Spiel des Yannick Petzschke...

Autor: Dennis Kormanjos