Barmbeker Jubel: Ein bockstarker Bock und zwei Bilderbuch-Tore!

Türkiye-Trainer Kreutzer nach Pleite bedient: „Das ist nicht unser Anspruch“

12. August 2017, 19:16 Uhr

Nach seinem Treffer zum 2:0 steuerte Benny Lipke auf Trainer Frank Pieper zu und "kniete" vor ihm nieder. Foto: Kormanjos

Gerade hatte Benjamin Lipke mit einem absoluten Traumtor die Vorentscheidung herbeigeführt, als er zum Vollsprint ansetzte, von der einen Seite des Platzes schnurstracks auf die andere in Richtung Trainerbank lief und seinem Trainer auf Knien vor die Füße rutschte. Anschließend fiel sich die Mannschaft in die Arme – der Trainer mittendrin. Nach den turbulenten Tagen an der Dieselstraße eine Szene mit Signalwirkung – zumindest für den Außenstehenden. Nur der Trainer wollte dieses augenscheinliche Bekenntnis der Mannschaft zu seiner Person nicht allzu hoch hängen. „Das hat mit der Situation an sich nichts zu tun. Es spiegelt einfach die Mannschaft wider: Es ist ein Team“, so Frank Pieper.

Apropos „ein Team“: Diesen Zusammenhalt demonstrierten die Barmbeker schon vor dem Anpfiff, als das Wir-Gefühl im Mannschaftskreis lautstark beschworen wurde. Auch wenn die Gäste in der ersten Halbzeit noch ihre liebe Mühe mit dem Gegner hatten, war „eine Steigerung in der zweiten Hälfte mitentscheidend“ für den Sieg, wie Pieper treffend konstatierte. „Dass man nach einem 1:5 im Rücken nicht voller Selbstvertrauen eine Mannschaft wie Türkiye, die als Geheimfavorit gehandelt wird, daherspielt, ist eh völlig selbstverständlich. Wir haben ein bisschen Anlauf gebraucht, uns dann in der Halbzeit nochmal taktisch besprochen – und das haben wir dann sehr gut umgesetzt, indem wir noch mehr Klarheit in unsere Aktionen gebracht haben.“ Und dann wäre da noch ein gewisser Dennis Bock zu nennen. Der Torhüter vereitelte gleich sechs absolute Hochkaräter mit zum Teil Monster-Reflexen. Ein bockstarker Bock im Tor hielt die Null fest!

"Ausnahmsweise mal ein guter Keeper"

Die Mannschaft bejubelt den Führungstreffer - der Trainer ist mittendrin. Foto: Kormanjos

Allein im ersten Durchgang musste der Schlussmann gleich zweimal sein ganzes Können aufbieten. Erst parierte Bock einen abgefälschten Tüter-Schuss, obwohl er schon ins andere Toreck unterwegs war, mit den Füßen (28.). Dann blieb er im Eins-gegen-Eins mit Atef Zakerwal erneut reaktionsschnell Sieger (40.). Knapp zehn Zeigerumdrehungen vor Ultimo, als BU bereits mit 1:0 führte, musste der 30-Jährige binnen weniger Sekunden gleich dreimal – zum Teil spektakulär – den Einschlag in seinem Gehäuse verhindern. Erst machte er sich nach einem Querschläger von Nico Schluchtmann ganz lang und kratzte die Pille aus seinem rechten Eck. Bei der darauffolgenden de la Cuesta-Ecke wischte er den Kopfball von Bilyal Mustafov über die Latte, ehe er auch im dritten Anlauf nicht zu bezwingen war. Diesmal war es der gerade eingewechselte Mou-Inzou Bachir, der nach einem weiteren Eckball und kurzzeitigem Tohuwabohu im Barmbeker Strafraum zum Fallrückzieher ansetzte – doch erneut verhindere Bock mit einem Wahnsinnsreflex den Ausgleich (79.). Und schließlich lenkte er Bachirs Schuss aus acht Metern um den linken Pfosten (85.). Kein Wunder, dass BU-Kapitän Yannik Lux nach Spielschluss im Siegerkreis witzelte, dass man am heutigen Tag „ausnahmsweise mal einen guten Keeper“ zwischen den Pfosten stehen hatte.

„Die erste Halbzeit war gut. Da muss man nur klipp und klar sagen: Da müssen wir ein Tor machen“, ärgerte sich Türkiye-Coach Dennis Kreutzer – und war der Meinung: „Dann bricht BU aufgrund der Lage auch zusammen. Man hat gesehen, dass sie wackeln und mit dem Plan hier hergekommen sind, tief zu stehen und uns das Spiel zu überlassen“, fügte Kreutzer an, ehe er konstatierte: „Ich meine das nicht despektierlich. Aber wenn wir das 1:0 machen, dann überrollen wir die. Das hatte man einfach im Gespür, denn die waren so extrem passiv. Deshalb ist es mir auch ein Rätsel, wie man so den Faden verlieren kann.“ Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn zu den zweiten 45 Minuten seines Teams fand der Neu-Trainer der Wilhelmsburger überaus deutliche Worte: „Wir sind von Beginn an zu passiv, haben unheimlich viele ganz leichte individuelle Fehler und machen den Gegner damit stark.“

Labiadh kehrt am Freitag zurück und zählt das Vertrauen zurück

Benjamin Lipke läuft...

Einer dieser Fehler ermöglichte den Barmbekern, die zuvor schon zwei Chancen durch Chris Heuermann innehatten (25., 49.), die Führung. „Solch eine Situation habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen“, echauffierte sich Kreutzer darüber, dass der ansonsten gewohnt starke Bilyal Mustafov ohne jegliche Bedrängnis einen katastrophalen Fehlpass „in einen absolut toten Raum und damit in die Offensivbewegung von BU rein“ spielte. Der schon nach 180 Sekunden für den verletzten Kevin Lange in die Partie gekommene Mohamed Labiadh erkämpfte sich diesen Ball auf Höhe der Mittellinie und ließ sich dann von nichts und niemandem mehr aufhalten. „Die Jungs sind im Tiefschlaf, gucken alle nur zu. Das darf uns nicht passieren“, bemängelte Kreutzer das nicht vorhandene Arbeiten gegen den Ball. Der bärenstarke Labiadh vollendete seine Einzelaktion mit einer Streicheleinheit der Extraklasse: Vom rechten Strafraumeck schlenzte er das Spielgerät millimetergenau in den linken Giebel – 0:1 (75.)! Ausgerechnet Labiadh, der nach seinem Geburtstag aus beruflichen und privaten Gründen die vergangene Woche in London verweilte und erst am Freitagabend zurückkehrte. Auf die Frage von Labiadh, ob er denn für das Spiel schon gebraucht werde, entgegnete Pieper: „Ja, klar.“ Dieses Vertrauen zahlte er seinem Trainer eindrucksvoll zurück. „Danach haben wir die Struktur komplett verloren. Das Gegentor war absolut bezeichnend für unsere zweite Halbzeit. Wir waren total unkonzentriert, haben nicht mehr die nötige Laufbereitschaft an den Tag gelegt und nicht mehr als Gemeinschaft agiert“, hatte Kreutzer eine ganze Menge am Spiel seiner Elf auszusetzen.

"Ein Heimspiel, das wir nicht verlieren dürfen!"

... und läuft.

Dagegen war der zweite Treffer der scheinbar angeknockten „Dieselstraßler“ ein ähnliches Meisterwerk, als der hinten wie eine Bank verteidigende und aufopferungsvoll kämpfende Lux auf dem linken Flügel Benjamin Lipke in Szene setzte. Dieser sah den im Zentrum postierten Dominik Siewert, der ohne langes zögern direkt wieder links raus passte zu Lipke. Dieser schlug einen Haken und vollstreckte vom linken Eck des Sechzehners mit seinem eigentlich schwächeren rechten Fuß traumhaft schön in die rechte Torecke – 0:2 (88.)! Es folgte die Feier mit Mannschaft und Trainer. „Im Endeffekt ist es ein Heimspiel, das wir nicht verlieren dürfen. Nicht gegen einen Gegner in diesem Zustand. Die zweite Halbzeit ärgert uns unheimlich. Denn das ist nicht der Anspruch, den wir haben! Man kann Spiele verlieren, aber nicht so“, zog Kreutzer ein ernüchterndes Fazit und bilanzierte: „In der zweiten Halbzeit waren wir unterirdisch!“

... und fällt dem Trainer in die Arme. Foto: Kormanjos

Ganz anders war die Stimmungslage auf der anderen Seite. Die Barmbeker Mannschaft zeigte genau die richtige Reaktion auf das von Präsident Frank Meyer öffentlich ausgesprochene Ultimatum, dass man sich als Verein die nächsten fünf Spiele genauer angucken werde. „Für uns ist die Situation wirklich total entspannt. Wir haben keinen Druck, für uns ist alles gut. Wir interpretieren und bewerten da nichts hinein, sondern kümmern uns nur um unsere Arbeit – und die findet auf dem Platz statt“, so Pieper zu dem Thema, das keines mehr sein soll. Stattdessen steht allein das Sportliche im Mittelpunkt. „Wir sind vielleicht noch nicht so weit, wie wir sein wollen. Aber ich habe ja schon gesagt, dass wir noch ein paar Wochen brauchen, um richtig gut in die Spur zu kommen und gewisse Unzulänglichkeiten abzustellen. Aber in welche Richtung wir können, haben wir in der zweiten Halbzeit gezeigt. Jeder Einzelne hat auf seiner Position noch mehr Verantwortung übernommen.“

Autor: Dennis Kormanjos