Oberliga

Keine Leidenschaft, kein Kampf, kein Wille: War's das für Condor schon?

Die FussiFreunde-Analyse zur derzeitigen Situation der „Raubvögel“

12. März 2019, 13:54 Uhr

Die Situation für Incheol Choi und den SC Condor in der Oberliga ist derzeit frustrierend. Foto: Bode

Das Bild sagte alles: Ken Niederstadt stand noch lange nach dem Schlusspfiff gedankenverloren auf dem Kunstrasen am Berner Heerweg. Einige Meter weiter saß Özgür Bulut. Der Mittelfeldspieler hatte seine Schuhe ausgezogen, seinen Rücken an die Stand der Spielfeld-Umrandung gelehnt und starrte vor sich hin aufs Feld. Irgendwann trotteten Niederstadt und Bulut in Richtung Kabine – auf dem Weg dahin sammelten sie Michael Löw ein. Mit hängenden Köpfen absolvierte das Trio schließlich die letzten Meter zur Kabine des SC Condor, wo Co-Trainer Fabio Ansaldo längst damit begonnen hatte, die 0:4-Niederlage gegen den SV Rugenbergen am Samstagnachmittag Revue passieren zu lassen. 

Die Quintessenz der letzten Wochen ist klar. Nämlich: Die „Raubvögel“ stehen kurz davor, den Abflug aus der Ober- in die Landesliga zu machen. Die Gründe des Absturzes – die Mannschaft des momentan urlaubenden Trainers Florian Neumann steht mit 19 Punkten auf dem 16. Platz und spürt als Drittletzter inzwischen sogar mehr und mehr den Atem des zuvor schon weiter zurückliegenden Wedeler TSV (18 Punkte) im Nacken – sind vielfältiger Natur. Also direkt hinein in die Ursachenforschung und Analyse der derzeitigen Situation des einstigen ODDSET-Pokalfinalisten, dessen Glanz nicht erst seit dieser Saison mehr und mehr verblasst:

Die fehlerhafte Kaderzusammenstellung: Wer das FussiFreunde-Sonderheft vor dem Start in die Saison in die Hand nimmt, der findet im Kader des SCC nicht weniger als 16 Neuzugänge. Der klassische große Umbruch. Zudem gab es mit Olufemi Smith und Fabian Boll auch noch ein neues Trainer-Duo obendrauf. Alles neu also am Berner Heerweg. Aufgrund der immensen Zahl an Abgängen im Sommer vielleicht nötig, letztlich aber ein bisschen viel auf einmal. Der Haken: Der Großteil der Neuen geht als „Youngster“ durch, nur wenige besitzen die Erfahrung, die in dieser Situation nötig gewesen wäre, um so einen Umbruch sinnvoller oder erfolgreicher über die Bühne zu bekommen. Man kann zwar viele junge Spieler in ein bestehendes Fundament integrieren, aber die jungen Spieler sind nicht so weit, dass sie allein das Fundament darstellen können. Der Neuaufbau stand also von Anfang an auf recht hölzernen Füßen. Dass Neumann jüngst mit Przemyslaw Osinski in Ermangelung von einsatzfähigen Linksfüßlern einen Altherren-Spieler reaktivieren musste, spricht für sich. Auch der Abgang von Gökhan Iscan (zum SV Curslack-Neuengamme), der Team und Spiel ordnen konnte, hat dem SCC nicht gut getan

Die Verletzungssorgen begleiten Condor stetig

Jannick Martens fehlt dem Club vom Berner Heerweg schmerzlich. Foto: Bode

Zu wenig Typen, die voran gehen: In den zurückliegenden Jahren fielen, wenn es um Condor ging, immer die gleichen Namen. Mike Theis, Kevin Mellmann, Sascha Kleinschmidt, Julian Künkel. Oder schon davor die von Max Anders, Alexander Krohn oder Lars Lüdemann. Allesamt Spieler, die das Gesicht des SCC prägten und denen man immer wieder gern nachsagte, sie hätten diese besondere „Condor-DNA“. Nach und nach sind diese Akteure nun weggebrochen. Schon in der vergangenen Saison unter Coach Christian Woike als der Club den „guten alten Zeiten“ auch tabellarisch hinterher hing, wurde bemängelt, dass eben Spieler dieser Couleur fehlten. Vor der laufenden Serie betonte der damalige Übungsleiter Smith, dass die „Condor-DNA“ nicht verloren gegangen sei: „Wir haben mit Till Daudert, Jannick Martens und Ken Niederstadt weiterhin Typen und Charaktere, die für die Werte stehen, die Condor ausmachen.“ Das mag sein, doch auch diese Sache hat so ihren Haken.

Die Verletzungssorgen: Genau das ist dieser Haken. Wie heißt es doch so schön: Wenn man Scheiße am Schuh hat, hat man Scheiße am Schuh. Beim SCC äußert sich dies in Sachen Verletzungspech. Jannick Martens fällt mit den Folgen eines Kreuzbandrisses langfristig aus – ein Verlust, der nicht zu verkennen ist. Auch Ibrahim Özalp machte das Kreuzband einen dicken Strich durch die Rechnung. Kristoffer Laban musste wiederholt kürzertreten. Auch Till Daudert oder Cassian Klammer, der unter anderem kurz vorm so wichtigem Spiel beim Wedeler TSV passen musste, obwohl er eigentlich in der Startelf stehen sollte, blieben von Wehwehchen nicht verschont. Ausfälle, die allesamt stark ins Kontor fallen – vor allem dann, wenn man sie im Zusammenspiel mit den anderen Problemen betrachtet.

Zu viele Spieler, die Ernst der Lage offenbar nicht erkannt haben: Das Spiel gegen Mitkonkurrent Wedel wurde zu einem Offenbarungseid. Eine gefühlte halbe Ewigkeit musste man in dieser Partie auf eine veritable Offensivaktion der „Raubvögel“ warten, die man wirklich als einen Torschuss bezeichnen konnte. Während Wedel in diesem Spiel mit Biss, Willen, Leidenschaft und Einsatzwillen die primären Tugenden an den Tag legte, die im Abstiegskampf zum Überleben notwendig sind, hatte man beim SCC in diesem Match nicht den Eindruck, dass sich die Equipe gegen die Niederlage stemmt oder aber sich dem Ernst der Lage bewusst war. Das gleiche gilt für die Begegnung gegen den SV Rugenbergen – zumindest für die zweite Hälfte. Man wird den Eindruck nicht los, dass nicht alle Spieler im Kader wirklich „brennen“, die Klasse zu halten. Es reicht eben nicht, wenn nur zwei oder drei Spieler bis an die Grenzen und darüber hinaus gehen, die anderen aber nicht.

Der letzte Strohhalm: Noch mehr „Oldies“ reaktivieren?

Würde Max Anders im Abstiegskampf helfen können? Foto: Bode

Das Trainer-Theater in der Winterpause: Anfang Dezember 2018 trennte man sich von Olufemi Smith und Fabian Boll. Für viele – darunter auch die beiden Coaches selbst – kam dieser Wechsel überraschend. Zumal Condor zu diesem Zeitpunkt nach schwierigen Wochen gerade wieder in Tritt zu kommen schien und sich mit einem deutlichen 6:1-Erfolg gegen Concordia in die Winterpause verabschiedet hatte. Wenn, dann hätte man eine Veränderung vielleicht vorher vornehmen sollen, als die Kurve nach unten zeigte. Mit dem Abgang von Smith und Boll warf mit Jasper Wehrt auch der Dritte im Bunde hin. Bei der Suche nach einem neuen Coach bekleckerte sich der SCC mit allem – aber nicht mit Ruhm. Dass Nico Peters – damals noch beim WSV Tangstedt auf der Lohnliste – der neue Mann auf dem Trainerstuhl sein sollte, war früh geklärt. Ebenso früh ging man mit dieser Personalie dann auch an die Öffentlichkeit. Zu früh und zu schnell. Die „Personalie Peters“ war noch gar nicht in trockenen Tüchern. Ersatz musste her. Doch der muss nun mit dem Stempel leben, die „zweite Wahl“ zu sein. Es gibt sicherlich bessere Voraussetzungen, wenn man das „Unternehmen Klassenerhalt“ als Aufgabe auf dem Zettel hat

Das Umfeld: Früher sammelte sich am Berner Heerweg abseits des Spielfelds die Crème de la Crème, wenn es um die Besetzung von Positionen im Funktionsteam ging. Marco Krausz, Matthias Bub, Kai Koch – sie prägten in unterschiedlichen Konstellationen als Sportliche Leitung das Geschehen und das Bild bei Condor. Nachdem auch der letzte aus diesem Trio dem Verein den Rücken kehrte, blieb diese Position unbesetzt. Jan Hendrych, der sich im Zuge des Smith/Boll-Trennung ebenfalls verabschiedete, war als Team-Manager eng dran am Team, aber eher der Mann fürs Organisatorische drumherum. Keiner, der Transfers einfädelt und eintütet. Inzwischen gibt es mit Ralf Rath wieder jemanden, der diese Stelle ausfüllt. Die Stahlkraft seiner Vorgänger hat er – bei aller Wertschätzung – aber nicht.

Der letzte Strohhalm: Die Idee, Altherren-Kicker Osinski in den Kader zu beordern, wurde aus einer Not geboren. Inzwischen ist die Not am Berner Heerweg so groß, dass man vielleicht gar nicht mehr umhin kommt, dieses Prozedere mit anderen Namen zu wiederholen. Carlos Flores oder Max Anders zum Beispiel wären zwei Kicker, die über einen genügend großen Erfahrungsschatz, den nötigen Willen und die Fähigkeit verfügen, eine Mannschaft mitzureißen. Spieler, die mit allen (Oberliga-)Wassern gewaschen sind. Zudem wäre zumindest Abwehrmann Anders ein Typ Spieler, der auch mal „dreckig“ spielt und dazwischen haut. Genau solche Leute braucht es im Abstiegskampf. Was bleibt, sind Fragen: Wären diese beiden fit genug? Würde es reichen, den ziemlich festgefahrenen Karren noch aus dem Dreck zu ziehen? Oder ist es dazu schön längst zu spät?

Jan Knötzsch