Der Amateur-Blog

Krauses Kapitel: Schiri, der hat schon Gelb!

Mit seinem eigenen Blog "Krauses Kapitel: Schiri, der hat schon Gelb!" gibt Osdorf-Capitano Bennet Krause (re.) einen Einblick in das Leben eines Amateurfußballers. Foto: noveski.com

25 Jahre TuS Osdorf – Bennet Krause hat gerade erst ein ganz besonderes und in der heutigen Zeit fast schon einmaliges Jubiläum hinter sich. Der Kapitän der „Blomkampler“ hat in diesem Vierteljahrhundert alles rund um den Verein miterlebt – vom Aufstieg aus der Kreisklasse bis in die höchste Hamburger Amateurliga und zu einem der angesehensten Vereine in Hamburg. In all den Jahren hat sich „BK4“ den Ruf erarbeitet, alles für seinen TuS auf dem Platz zu geben und zu lassen – mit allen Mitteln, am Rande des Erlaubten und oft auch zum Leidwesen der gegnerischen Teams. Nun hat der 33-Jährige seine philosophische Ader entdeckt und wird uns künftig mit seinem eigenen Blog „Krauses Kapitel: Schiri, der hat schon Gelb!“ in das Leben eines Amateurfußballers einweihen…

Blog 04: Bedrohung des Amateurfußballs

Ein komplett leer gefegter Ascheplatz - von Absperrbändern umringt. Foto: Malte Krause

Der Deutschunterricht war noch gar nicht beendet, da stand ich bereits mit einem Bein im Treppenhaus des Pavillons. Die letzten Hinweise der Lehrerin habe ich schon gar nicht mehr mitbekommen. Ohne meine Winterjacke rannte ich nach draußen auf den asphaltierten Schulhof. Die erste große Pause stand an und war für mich immer ein Highlight des Tages. Die Schüler aus meiner Parallelklasse haben bereits auf mich gewartet. Weil in der 4b auch meine damaligen Mannschaftskollegen des TuS Osdorf waren, spielten wir auch in den Pausen in einem Team. Wir sicherten uns das Tor, welches aus Kastanie und Müllcontainer bestand und bereiteten uns auf unseren Gegner vor. Gespielt wurde quer über den Schulhof. Die erste große Pause war das Hin-, die zweite Pause das Rückspiel. Bei Unentschieden griff die Europacup-Tor-Regel, die früher erst recht niemand verstand. 

Die meisten von uns haben in der Grundschule mit dem Fußballspielen begonnen und sind seitdem süchtig nach dem runden Leder. In diesem Alter ist uns nicht bewusst, wie sehr der Fußball verbindet und eine Gemeinschaft zusammenhalten kann. Wir beginnen mit dem Spielen, weil es Spaß macht. Wir eifern unseren Idolen aus dem Fernsehen hinterher oder wollen es dem Papa gleichtun. Es gibt kaum eine Sportart, die man so einfach ausführen kann. Im Grunde genommen braucht es nicht einmal einen Mitspieler. Es reichen eine Wand und ein ballähnlicher Gegenstand. 

Nichts los auf der alt-ehrwürdigen Adolf-Jäger-Kampfbahn, der Kult-Heimstätte von Altona 93. Foto: Malte Krause

Heute sind die Bolzplätze häufig leer gefegt. Kinder, die vor Häuserblöcken zwischen Wäscheleinen und Parkplätzen Fußball spielen, sehe ich immer seltener. Diesen Eindruck teile ich nicht erst seit der Corona-Pandemie. Viele Kinder haben offensichtlich die Lust und Zeit am Spiel verloren. An vielen Schulen gibt es mittlerweile nur noch feste Tage an denen die Kinder gegen den Ball treten dürfen. Zudem nimmt der Leistungsdruck für Schüler immer mehr zu. Anfang letzten Jahres veröffentlichte der kicker Zahlen aus verschiedenen Studien: 80 Prozent der Kinder in Deutschland bewegen sich zu wenig, die körperliche Aktivität bei den 4- bis 17-Jährigen ist in den vergangenen zwölf Jahren um 37 Prozent zurückgegangen. 2019 wurden in Deutschland 3450 Jugendteams weniger gemeldet als 2018! Das sind alarmierende Werte. 

Auch die Amateurfußballplätze sind inzwischen mit reichlich Desinfektions-Spendern ausgestattet. Foto: Malte Krause

Dass eine Pandemie diese Zahlen nicht positiv verändern wird, ist offensichtlich. Nun sind es aber nicht nur Kinder und Jugendliche, die sich vom Fußball abwenden, sondern auch immer mehr Amateur-Kicker. Viele stellen sich die Frage: Macht das alles überhaupt noch Sinn? Traurigerweise berichtete „FussiFreunde“ zuletzt immer häufiger über Gleichgesinnte, die ihre langjährigen Amateur-Karrieren beenden. Aus fast allen Artikeln geht hervor, dass die Corona-Zeit letztendlich dazu führte, die Schuhe an den Nagel zu hängen. Marin Mandic, Cem Cetinkaya und Patrik Papke sind in etwa alle mein Jahrgang. Gegen alle Drei durfte ich bereits in meiner Jugend spielen. Außerordentliche Fußballer, denen ich eine würdevollere letzte Saison gewünscht hätte. 

Keine Running-Playlist schafft es meine Gedanken zu verdrängen: Macht das alles überhaupt noch Sinn?

Da auch ich mich in den letzten Monaten immer wieder mit der Frage beschäftigt habe, wie viel Zeit man dem Amateur-Fußball überhaupt noch widmen möchte, habe ich größten Respekt vor den Entscheidungen, jetzt mit dem Fußballspielen aufzuhören. Seit Beginn der Pandemie stecken unendlich viele Lauf-Kilometer in meinen Knochen. Viele Stunden, in denen ich nicht gegen den Ball trete, sondern alleine im Volkspark meine Runden drehe. Es ist zermürbend sich fit zu halten, ohne zu wissen, wann und wie es wieder losgeht. Während sich das Rad für den professionellen Fußball auch ohne Zuschauer weiter dreht, kämpfe ich täglich mit meiner Motivation, sportlich aktiv zu sein. Fehlende Corona-Konzepte auf Bundes- und Landesebene führen zu weiteren Kündigungen vieler Vereinsmitglieder. 

Die aktuelle Corona-Situation bringt auch Bennet Krause - hier im Stadion Hoheluft des SC Victoria - ordentlich ins Grübeln. Foto: Malte Krause

Vor einigen Tagen bin ich umgezogen. Weil der Fernseher noch nicht läuft, verbringe ich die Abende vor dem iPhone. Ich scrolle häufig durch meine Mediathek. Jubeltrauben und Bilder mit strahlenden Zuschauern am Blomkamp lassen mich nachdenklich werden. Erinnerungen an packende Heimspiele, wirken wie aus einer anderen Welt. Was damals völlig normal war, scheint heute weit weg von der Realität. Im Flur steht der letzte Umzugskarton. Mir fällt nichts ein, was ich vermisse oder nicht schon verstaut habe. Ich öffne den Karton und finde eine Kugellampe von Ikea, Konserven und Fußballschuhe, die ich im letzten Jahr gekauft habe, jedoch nicht einmal tragen konnte. Ich ziehe die Schuhe an und gehe den Flur auf und ab. Der Laminatboden knarrt. Ein vertrautes Geräusch, wie das gegen den Pfosten treten vor einem Eckball. Ich fühle mich an meine Kindheit erinnert. Es ist das gleiche Gefühl wie damals, als ich die neuen Predator zu Weihnachten bekam. Für einen kurzen Augenblick bringen mich meine Emotionen wieder auf den Sportplatz. Ich packe die Fußballschuhe nicht zurück in den Karton, sondern trage sie noch den ganzen Abend.