Oberliga

Harms: „Hatten das Gefühl, am Limit angekommen zu sein“

Nach fünf Jahren ist im Sommer Schluss: Steffen Harms verlässt den USC Paloma. Foto: Bode

„Wir fordern von unseren Spielern unglaublich viel Mut“, sagt Steffen Harms, „auch dann, wenn sie sich so entwickeln, dass sie für uns ‚zu gut‘ sind. Dann helfen wir ihnen gerne dabei, den nächsten Schritt gehen zu können“, nahm sich der zum Saisonende scheidende Trainer des USC Paloma diese Entschlossenheit nun selbst zu Herzen: „Wenn wir das einfordern, müssen wir auch diesen Mut von uns verlangen.“ Und so trafen er und sein Trainerteam, bestehend aus „Co“ Mario Jurkschat und Torwart-Trainer Jan Dreßler, die Entscheidung, den „Tauben“ – zur Überraschung vieler – den Rücken zu kehren. Mit U23-Coach Marius Nitsch ist die Nachfolge bereits geklärt. Wir haben uns mit Harms über dessen Entschluss und Zukunftsaussichten unterhalten…

Für viele Außenstehende kam die Nachricht sicherlich sehr überraschend. Was hat letztendlich zu dieser Entscheidung geführt?

Mit Harms (re.) geht auch dessen rechte Hand, Mario "Harry" Jurkschat, am Saisonende. Foto: Bode

Steffen Harms: „Wir als Trainerteam wollten schon immer größtmöglich professionell arbeiten – und sind sehr dankbar dafür, dass wir das bei Paloma machen können. Wir waren immer sehr offen in der Kommunikation und haben gesagt, dass wir uns, aber auch den Verein permanent entwickeln wollen. Wir sind immer noch einigermaßen junge Trainer und wollen vorankommen. Da haben wir nie einen Hehl daraus gemacht. Es ist sicherlich für viele eine unpopuläre Entscheidung. Denn Paloma ist einer der Top-Clubs in Hamburg. Es ist alles andere als selbstverständlich, da arbeiten zu dürfen – dessen sind wir uns auch bewusst, dass wir da etwas aufgeben. Aber wir haben für uns eine Vision. Natürlich hätten wir gerne das i-Tüpfelchen auf unsere gemeinsame Arbeit gesetzt, aber die Saison verlief durch Corona nun mal etwas anders. Dennoch sind wir immer offen mit dem Thema umgegangen.“

Warum jetzt – und nicht vielleicht im nächsten Jahr nach dem „i-Tüpfelchen“?

Harms: „Natürlich war auch in unseren Überlegungen, noch ein Jahr dranzuhängen – der Verein wollte es ja auch gerne. Wir haben dann aber jetzt für uns entschieden, den Schritt, der irgendwann eh kommen sollte, nun zu gehen – und zu sagen, dass es an der Zeit ist. Wir sind alle Gedankenspiele und Planungen durchgegangen und der Meinung, den mutigen Schritt, ohne etwas anderes an der Angel zu haben, jetzt machen zu müssen.“

Man hatte das Gefühl, dass bei Paloma wirklich etwas entstanden ist – sowohl was die Mannschaft an sich als auch die Aufstellung im Drumherum betrifft. Weshalb waren diese „Entwicklungsmöglichkeiten“ und die „Perspektive“ für euch bei Paloma nun nicht mehr vorhanden?

Harms sieht sich und sein Trainerteam an der Brucknerstraße "am Limit angekommen". Foto: Bode

Harms: „Zuallererst muss ich sagen: Bei alledem, was wir als engagiertes Trainerteam immer wieder eingefordert haben – und da waren wir sicherlich sehr fordernd –, hat Paloma uns überragend unterstützt und als Verein alles in seiner Macht stehende getan, um uns zu helfen, voranzukommen. Wir haben da etwas Tolles aufgebaut – und das soll auch so bleiben. Der USC Paloma ist in absolut stabilem Fahrwasser. Dort wird dadurch, dass wir jetzt gehen, überhaupt nichts auseinanderbrechen. Wir geben es einfach weiter – und glauben, dass wir es an einem Punkt weitergeben, wo ein gutes Grundgerüst steht. Die Verantwortlichen bleiben ja auch vor Ort. Insofern mache ich mir keine Sorgen. Es ist ein attraktiver Trainerjob. Bloß für uns ist es so, dass allein schon von der Infrastruktur gewisse ‚Zwänge‘ da sind.“

Wie genau meinst du das? Und gebe uns doch mal das eine oder andere Beispiel…

Harms: „Es sind sehr viele Mannschaften für einen Kunstrasenplatz da, was an sich ja schön ist, dass der Verein einen solchen Zuspruch hat. Aber dort, wo wir leistungsorientiert arbeiten wollen, würde es schon daran scheitern, eine Einheit mehr zu machen. Oder wenn wir sagen: Wir brauchen einmal mehr die Woche den ganzen Platz, um taktische Dinge fürs Wochenende mit mehr Raum einzustudieren, dann würde man gleich wieder andere Mannschaften verscheuchen. Und das ist ja auch nicht im Sinne des Vereins. Irgendwann ist dann der Punkt erreicht, wo wir eine ganz tolle Entwicklung hatten und der Verein weiter ein guter und solider Oberligist sein kann, aber wo wir uns am Limit unserer Arbeit sehen. Wir wollen den nächsten Schritt in eine noch größere Professionalität machen. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, nicht zu verlängern.“

Er habe die Entscheidung getroffen, ohne etwas in der Hinterhand zu haben, so Harms. Foto: Bode

In der Pressemitteilung hieß es: „Die Drei suchen in Zukunft eine neue Herausforderung mit einer größeren sportlichen Perspektive und Entwicklungsmöglichkeiten.“ Ein Satz, der durchaus viel Interpretationsspielraum lässt. Gab’s denn im Umfeld gewisse Dinge, die euch gestört haben – oder wo ihr euch gewünscht hättet, dass Sachen schneller vorangetrieben werden, als es im Endeffekt passiert ist?

Harms:
„Muss ich mit ‚Nein‘ beantworten. Einfach deshalb, weil der Verein im Rahmen seiner Möglichkeiten alles probiert, um das Maximum herauszuholen. Deshalb waren wir die letzten Jahre als großes Team auch so erfolgreich, weil alle wirklich alles Menschenmögliche getan haben. Aber bei Paloma findet nun mal auch viel Breitensport statt – und alle, die einen Leistungsanspruch haben, haben auch das Recht, den Platz oder andere Begebenheiten zu nutzen. Es würde schon helfen, würde noch ein Platz mehr da sein – und das dauert noch ein bisschen. Und wir werden ja auch alle nicht jünger (lacht). Es ist sicherlich keine Entscheidung, die es so oft gibt, dass man als Trainer einen guten Job niederlegt – und wir wissen total, dass solch ein Job im norddeutschen Bereich nicht an jeder Ecke herumliegt. Im Gegenteil. Das ist uns total bewusst. Aber wenn wir für uns sagen oder das Gefühl haben, am Limit angekommen zu sein und noch eine Entwicklung vor uns zu haben, dann ist es für uns einfach der logische Schritt gewesen, zu sagen, dass wir hier jetzt und hier für uns fertig sind und offensiv den nächsten Schritt angehen wollen.“

Steffen Harms (li.) richtet den Blick voraus. Foto: Bode

Nun hast du ja schon erwähnt, dass der Trainerjob bei Paloma ein durchaus attraktiver Posten ist. Wenn man hört, dass ihr etwas anstrebt, was noch ambitionierter ist, kommt einem natürlich auch gleich in den Sinn: Da muss es ja schon etwas geben. Welcher Verein bietet denn in der Oberliga eine größere Perspektive – oder anders gefragt: Gibt es schon etwas Konkretes, was ihr in der Hinterhand habt?

Harms:
„Es gibt tatsächlich noch gar nichts. Das ist eine Entscheidung, die wirklich nur darauf beruht, dass wir für uns entschieden haben, den nächsten Schritt wagen zu wollen und zu müssen. Wir haben noch keine Anfrage aus Bereichen, wo wir sagen: Das wäre der richtige nächste Schritt.“

Inwieweit hat Corona in die Entscheidung mit reingespielt?

Harms: „Auch ohne Corona wäre die Entscheidung jetzt wahrscheinlich so ausgefallen, weil ich der Meinung bin, dass wir auch ohne Corona mit der Mannschaft den Schritt gemacht hätten, für uns eine sehr erfolgreiche Saison zu spielen. Ich bin total davon überzeugt, dass wir ein tolles Jahr gespielt hätten, weil die Anzeichen dafür einfach alle da waren. Wir hatten auch nicht nur elf Spieler auf dem Niveau. Leider war es jetzt nur ein sehr kurzer Abschnitt der Saison. Um auf die Frage zurückzukommen: Ich glaube sogar, dass die Entscheidung ohne Corona noch klarer ausgefallen wäre – ohne zu wissen, was alles passiert wäre. Denn dann wäre unser Plan so weit aufgegangen, das Ganze in diesem Jahr voll zu stabilisieren, eine richtig gute Saison zu spielen – und es dann zu übergeben. Corona hat uns also erst zum Überlegen gebracht, ob wir noch eine Saison dranhängen wollen oder nicht.“

Apropos sportlicher Erfolg: Diesen hätte man sicherlich auch gerne am Ende der Spielzeit eingefahren und die Lorbeeren der Arbeit geerntet. Wie schwer fällt es deshalb, nun so aufhören zu müssen? Denn es rechnet ja keiner mehr wirklich damit, dass die Saison noch ein sportliches Ende nehmen wird…

Er sei stolz darauf, wie man sich als Team kontinuierlich entwickelt habe, betont Harms (re.). Foto: Bode

Harms: „Es ist natürlich bitter, dass wir dieses i-Tüpfelchen nicht setzen konnten. Trotzdem sind wir extrem stolz auf die Entwicklung. Denn fünf Jahre sind im Fußball eine lange Zeit. Wir haben immer noch viele Spieler im Kader, die von Anfang an dabei waren, sich ganz toll entwickelt und das Ganze mit sehr viel Engagement gefüllt haben. Ich habe in den letzten Tagen, seitdem es die Mannschaft weiß, sehr viele emotionale Gespräche geführt. Klar, man hat so viel da reingesteckt und es sind viele Freundschaften entstanden. Natürlich gibt es auch Leute, die das nicht gut finden. Denen muss man es genau so offen und ehrlich erklären. Es ist nun mal eine harte Entscheidung, ob mit oder ohne Corona, ob die Saison gespielt ist oder nicht. Aber wir haben immer gesagt: Genau so wie es die Spieler wollen, wollen auch wir als Trainer den größtmöglichen Weg gehen und Mut zeigen. Dann gibt es vielleicht auch mal eine Entscheidung, die so aussieht.“

Worauf bist du in diesen fünf Jahren besonders stolz?

Harms: „Ich bin wirklich besonders stolz, wie wir es als kompletter Verein in aller Ruhe gelöst und geschafft haben, einen Plan, der über drei bis fünf Jahre geht und den gefühlt jede Amateurmannschaft irgendwo rumliegen hat, umzusetzen. Ich habe es auch als Spieler selten erlebt, dass ein Plan so durchgezogen wird und alle Sachen, die von Anfang an notiert wurden, immer wieder auf dem Prüfstand waren. Ich bin wirklich total stolz darauf, dass wir als Team sämtliche Berg- und Talfahrten genommen haben, uns als Team kontinuierlich entwickelt haben – und das Ganze nicht mit viel Geld. Wir haben immer noch den gleichen Etat von damals, als wir Landesliga-Achter waren – bis heute als momentan Oberliga-Sechster. Und wie schon gesagt: Wir haben immer noch viele Spieler im Kader, die von Anfang an dabei waren und vielleicht nicht den allergrößten Namen haben. Wir haben uns alle gemeinsam entwickelt – auch wir als Trainer. Diese Gesamtentwicklung, die wir Schritt für Schritt gegangen sind und auch immer wieder vernünftig hinterfragt haben, wenn wir erfolgreich waren, ist etwas ganz Besonderes. Zumal daran auch viele Leute beteiligt waren. Das ist dann immer schön, wenn es ohne große Skandale oder Streitigkeiten so funktioniert.“

Abschließend: Was muss denn ein Verein haben, um dich oder euch von einem Engagement zu überzeugen?

"Unser Ziel ist es, noch professioneller arbeiten zu dürfen", erklärt Harms (li.) die Marschroute. Foto: Bode

Harms: „Unser Ziel ist es einfach, noch professioneller arbeiten zu dürfen, als jetzt schon. Das heißt nicht, dass wir nun sofort irgendwo hauptberuflich einsteigen wollen. Wir sind auch nicht völlig vermessen, im großen Hochmut oder verrückt unterwegs. Aber wir merken einfach, dass wir noch viel Potenzial haben und trauen uns das zu, den nächsten Schritt zu gehen. Der nächste Verein soll uns einfach eine etwas professionellere Bühne bieten können, wo wir mit einem leistungsstarken Kader um etwas spielen dürfen. Ich tue mich schwer damit, das ganz klar einzugrenzen. Aber wir wollen wieder eine Vision haben – und das in einer so professionellen Struktur wie nur möglich, so dass auch wir unser Potenzial voll reinwerfen können.“