Der SC Sperber als Zweitligist

Die Sperber-Aufstiegsmannschaft von 1966. Foto: SC Sperber

Hamburgs Fußball-Reviere sind im Sommer 1966 klar abgesteckt: Der HSV müht sich, die Bundesliga zu erhalten, der FC St.Pauli hat den Erstliga-Aufstieg nur wegen eines schlechteren Torverhältnisses in der Aufstiegsrunde versägt. In der Regionalliga Nord rangeln die Zweitligisten SC Concordia und Altona 93 um Mittelplätze. Dazu haben sich nach ihrem Aufstieg der hamburgische Meister BU und Vize-Meister SC Sperber gesellt. Ein „Bombentor“ – so nennt der mediale Zeitgeist die aus größerer Entfernung genau in den Knick platzierten Treffer – ein „Bombentor“ von „Manni“ Rabe sorgt um den Heubergredder herum für überschäumenden Jubel. 3:2 im Wiederholungsspiel in Uelzen gegen den 1.FC Wolfsburg. Endlich der ersehnte Aufstieg nach den beiden vergeblichen Anläufen 1957 und 1965! Alsterdorf ist Zweitligastandort. Sieben wilde Jahre haben begonnen.

Oder sagen wir lieber, sieben für das beschauliche Alsterdorf wilde Jahre. Andere können in diesen und den darauf folgenden Jahren noch ganz anders. Nachdem der Textilkaufmann Walter Seifert Anfang der 1960er Jahre den Vereinsvorsitz übernommen hat, macht er sich mit Hilfe eines Förderkreises daran, Hamburgs Nummer zwei, den FC St. Pauli, ins Visier zu nehmen. Helfen soll ihm dabei die Nummer eins, genauer gesagt Rothosen, die den Ansprüchen am Rothenbaum nicht mehr unbedingt genügen. Erwin Piechowiak ist 1966 der erste Ex-HSVer, der an den Heubergredder wechselt. Ihm folgen Horst Dehn, Rolf Schwartau und Peter Wulf. „Willst du gute HSVer seh'n, dann musst du schon zu Sperber geh'n“, jubiliert man dazu passend beim SC Sperber.

Aber die „Vertragsspieler“ kommen natürlich nicht nach Alsterdorf, weil sie es von der U-Bahn-Station nur wenige Schritte zum Stadion haben. Der Verein lockt mit einem interessant zusammen gesetzten Einkommen: 80 Mark Grundgehalt werden ergänzt durch eine Einnahmeteilung bei den Zuschauereinnahmen – 90 Prozent für die Mannschaft, 10 Prozent für den Verein.

Unter Trainer Walter „Walli“ Kuse beendet der SC Sperber die Aufstiegssaison auf Rang 13 und sichert sich den Klassenerhalt bereits vor dem abschließenden Spieltag. Die dann folgende Spielzeit 1967/68 hat sich tief in das kollektive Vereinsgedächtnis eingebrannt. Die Mannschaft ist noch einmal verstärkt worden, u.a. mit dem von Hannover 96 gekommenen Udo Nix. Allerdings muss das innovative Einnahmeteilungssystem aufgegeben werden. Außerhalb der Fußball-Abteilung haben sich nicht allzu viele Vereinsmitglieder damit anfreunden können. Damit steigt auch die Abhängigkeit von Sponsoren.

Seltsame Mischung aus Euphorie und Schwindel

Der Zeitraum zwischen Sommer 1967 und Sommer 1968 wird ein vereinshistorischer. Das Stadion Alsterdorf ist auf ein Fassungsvermögen von 12.000 Zuschauern und Zuschauerinnen erweitert worden und die Massen strömen in Zahlen, die dem SC Sperber bislang völlig fremd gewesen sind. Die Zeit der Dorfmusik scheint vorbei. Vierstellige Publikumszahlen werden die Regel. Um das Derby gegen BU zu sehen, zahlen beispielsweise 5.200 Menschen Eintritt. Und die Mannschaft tut alles, um die Euphorie anzufachen. Nach dem 6. Spieltag liegt der SC Sperber mit 11:1 Punkten an der Tabellenspitze der Regionalliga Nord. Eine seltsame Mischung aus Euphorie und Schwindel legt sich über den Heubergredder. Was tun, wenn das so bleibt? In Alsterdorf droht die Bundesliga.

Es dauert aber nicht lange und die Blase platzt. Langsam aber stetig sackt die Mannschaft in die Bereiche der Tabelle, die als Saisonziel vor Beginn der Serie allgemeine Zufriedenheit erzeugt hätten. Auf die Stimmung drückt jedoch, dass die Mannschaft viele unnötige Punkteverluste einsackt. Rache für die einkassierte Einnahmeteilung? Am Ende landet der SC Sperber auf Rang zehn, neun Punkte hinter dem Tabellenvierten FC St. Pauli, aber vor den anderen hamburgischen Klubs Concordia, BU, Bergedorf 85 und Altona 93. Der AFC muss als Vorletzter zurück in die Landesliga Hamburg.

Die folgenden Jahre werden zu einer Achterbahnfahrt der Gefühle. So erleben 4.500 Besucher und Besucherinnen am Heubergredder, wie der Regionalligist dem aktuellen Deutschen Meister 1. FC Nürnberg im DFB-Pokal ein 0:0 abringt. Im Wiederholungsspiel in Franken gibt es dann allerdings mit 0:7 richtig auf die Ohren. Und damit ist das Frustkontingent für die Saison noch längst nicht ausgeschöpft. Im Sommer 1969 steigt der SC Sperber als Tabellenletzter aus der Regionalliga Nord ab. Zwei Punkte haben zum Klassenerhalt gefehlt.

„Unsere Sponsoren haben uns geliebt“

Wild sind manchmal auch die Platzverhältnisse im Stadion Alsterdorf, in dem sich Anfang 1969 der SC Sperber und der TuS im Wintersport versuchen müssen.

Aber es sind nicht nur verhältnismäßige Kleinigkeiten, die in Alsterdorf an einer dauerhaften Zweitliga-Tauglichkeit fehlen. Mit der Zentralisierung des deutschen Fußballs durch die Einführung der Bundesliga 1963 hat ein ständig steigender Zufluss von Geld eingesetzt. Für viele Vereine, zu denen auch der SC Sperber gehört, zu viel. Sie haben einen strukturellen Nachteil, sie können schlicht und einfach nicht mehr mithalten. Es gibt zwar Gönner und großzügige Sponsoren wie den Verleger und Multi-Millionär John Jahr sen. Aber dem jahrzehntelangen Vereinsmitglied geht es wahrscheinlich nicht darum, die Ligamannschaft des Vereins mit allen Mitteln zur Nummer zwei in Hamburg zu machen, sondern er hat eher den gesamten Verein mit allen seinen Abteilungen im Blick. Darauf deutet jedenfalls eine Aussage von Dr. Günter Baarz hin, zwischen 1975 und 1985 Vorsitzender des SC Sperber: „Damals haben unsere Sponsoren uns geliebt und mit uns gelebt. Das Gerüst brach zusammen, als die Spieler Gehälter verlangten, die nicht mehr in unseren Rahmen passten.“ *

Zunächst aber schütteln sich die Alsterdorfer eine Saison lang in der Amateurliga, um als hamburgischer Vize-Meister 1970 den sofortigen Wiederaufstieg zu schaffen. Platz 15 zwei Zähler vom Abstieg entfernt, reicht zum Klassenerhalt. 1.600 Menschen finden im Durchschnitt noch den Weg zu den Heimspielen am Heubergredder.

Aber bekanntlich hat alles ein Ende, auch wilde Jahre. „Wir gehören wohl zu dem großen Kreis von sechs Mannschaften, die in diesem Jahr wieder gegen den Abstieg kämpfen müssen, und werden alles tun, um nicht ins Gras zu beißen.“ Der das Anfang August 1971 dem „Sport“ sagt, ist Erwin Piechowiak, inzwischen Trainer des SC Sperber. Die Zeiten haben sich geändert. Nun gibt es für die Spieler monatlich offiziell 50 Mark und eine Punktprämie in Höhe von 30 Mark zu verdienen. 130.000 Mark hat die Mannschaft in der abgelaufenen Saison eingespielt, davon 25.000 Mark Totogelder und 2.000 Mark Fernsehübertragungsgebühren. 20 Prozent der Gesamteinnahmen beansprucht der Gesamtverein. „Wir fühlen uns ein wenig als Zwitter zwischen Amateur- und Vertragsfußball“, benennt Piechowiak einen weiteren strukturellen Nachteil. Fügt man sich in diese Realität, kann das auch ein Vorteil sein, wie wir noch sehen werden.

Sperbers Trainer wird sich als Mensch mit gesunder Selbsteinschätzung erweisen. Seine Mannschaft kann nicht genug tun, um dem erneuten Abstieg aus der Regionalliga zu entgehen. Als Vorletzter, zwei Punkte hinter dem rettenden drittletzten Platz, verabschiedet sich der SC Sperber auf Nimmerwiedersehen aus einer von fünf zweithöchsten deutschen Spielklassen. 1974 wird mit der Einführung der zunächst zweigeteilten 2. Bundesliga ein weiterer Zentralisierungsschub eingeleitet. Einen weiten Abschlag entfernt, an der Steilshooper Straße, setzt BU alles ein, was es hat und besonders, was es nicht hat, um Zweitligist zu werden. Nach einer Spielzeit ist ein Schuldenberg von 500.000 Mark angehäuft, an dem der Verein jahrzehntelang abträgt. So gesehen, ist dem SC Sperber einiges erspart geblieben.

* In: Hardy Grüne: Legendäre Fußballvereine Norddeutschland