Zwei Notfälle unterschiedlichster Art: „Wir haben sie komplett überrollt!“

Eine 38-minütige Vorführung: BU spielt Cordi rund und träumt vom Titel

09. Dezember 2018, 19:48 Uhr

Ein Bild mit Symbolcharakter: Ein konsternierter Andreas Goldgraebe (li.) und ein feiernder Doppel-Torschütze Janis Korczanowski (re.), der von Ian Claus geherzt wird. Foto: Andre Matz

„Ich kann verstehen, wenn man als Zuschauer sagt: Das sah nicht so aus, als würden sie wollen. Aber ich glaube schon, dass die Spieler wollten. Die Frage ist nur, warum sie es nicht gemacht haben. Trotzdem würde ich nie einem meiner Spieler den Willen absprechen“, entgegnete Frank Pieper-von Valtier auf die Frage, ob er in den ersten 45 Minuten (alle Highlights im LIVE-Ticker) auch nur einen Spieler – Torhüter Frederic Böse mal ausgenommen – ausmachen konnte, der zumindest einen Ansatz von Siegeswillen versprühte. Tatsächlich waren die ersten 45 Minuten seiner Concorden bei Piepers „alter Liebe“ derart desaströs, dass der Coach dazu nur meinte: „Über die erste Halbzeit brauchen wir nicht zu reden. Punkt.“ 

Ohne jede Gegenwehr darf Korczanowski (2. v. li.) eine Hathat-Ecke zum 2:0 in die Maschen befördern. Foto: Andre Matz

Erschütternd – so könnte man das Defensivverhalten der „Bekkampler“ im Pokal-Achtelfinale bei BU über weite Strecken des ersten Abschnitts in einem Wort auf den Punkt bringen. „Wir haben sie in den ersten 35 Minuten komplett überrollt. Die wussten ja nicht mal mehr, wo hinten und vorne ist – trotz Mauer-Taktik“, so Barmbek-Coach Marco Stier mit gewohnt offenen Worten. Nach 23 Minuten schossen seine Schützlinge eine auch in dieser Höhe hochverdiente 3:0-Führung durch Fatih Umurhan (3.), Janis Korczanowski (11.) und Tim Jeske (23.) heraus – allerdings auch unter gütiger Mithilfe der Gäste, die beim 0:1 nur Geleitschutz leisteten und nebenherliefen, beim 0:2 nach einer Ecke nur zuschauten und keinerlei Zuteilung hatten, und beim 0:3 in Person von Lucas Vierling einen kapitalen, unerklärlichen und völlig verunglückten Rückpass spielten. „Das hat dann in den Fällen nichts mit Qualität zu tun“, befand Pieper-von Valtier, der nach acht Jahren bei BU erstmals an die ehemalige Wirkungsstätte zurückkehrte, und fügte an: „Es ist so ärgerlich, weil es ja nicht mal so ist, dass es BU in der ersten Halbzeit herausragend gut macht, sondern wir laden sie zu allem ein und lassen sie einfach gewähren.“

„Sie können sich bei ihm bedanken, dass sie nicht noch höher verloren haben“

Heißer Zweikampf: Cordi-Captain Maurizio d‘Urso (re.) vs. Jani Korczanowski. Foto: Andre Matz

In der 34. Minute erfolgte bei den bis dato drückend überlegeneren und in allen Berei gen mindestens zwei Klassen stärkeren Barmbekern ein Doppelwechsel: Der bis dato äußerst emsige Abdel Hathat musste verletzungsbedingt raus, während Kapitän Niklas Sabas im Vollsprint das Feld verließ, um seiner Haupt-Tätigkeit im Krankenhaus nachzugehen. „Wir wussten, dass er Bereitschaft hatte. Alle haben im Vorfeld gesagt, dass da schon nichts passieren würde. Aber es war klar, dass es dann so kommt“, berichtete Stier – nachdem der Notfall-Anruf auf der Bank einging und Sabas sich auf den Weg machte. Es war der Moment, der den Hausherren einen kleinen Knacks versetzte. „Ich sag mal so: Wenn das Spiel so weitergelaufen wäre – mit den elf Mann auf dem Platz –, dann hätten wir am Ende fünf, sechs Tore mehr auf dem Konto gehabt“, war sich der Ex-Profi im Nachgang sicher. Denn: „Es hätte schon 6:0 oder 7:0 stehen müssen. Ein Wahnsinn, was wir wieder für Chancen vergeben haben“, so Stier der Cordi-Keeper Frederic Böse eine starke Leistung attestierte: „Bei dem können sie sich auf jeden Fall bedanken, dass sie nicht noch höher verloren haben.“

Aus dem Nichts verkürzte der ebenfalls noch im ersten Durchgang für Ricardo Balzis eingewechselte Sascha de la Cuesta, der Schwung ins Spiel der Jenfelder brachte und kurz nach Wiederanpfiff von einer unglücklichen Kopfballabwehr Nico Schluchtmanns profitierte (48.). Nachdem King Marstaller die Riesenchance auf das 2:3 vergab, als er freistehend am stark reagierenden Oliver Gaedtke scheiterte (50.), und Cem Cetinkaya ein klarer Strafstoß verwehrt wurde (53.), stellte Korczanowski per Kopfball-Abstauber den alten Abstand wieder her (60.). 4:1! Doch Cordi schlug in Person von Benjamin Bambur, der die Marstaller-Chance vorbereitete und in der Schlussphase völlig blank an Gaedtke hängenblieb (80.), zurück (68.). Doch in der Schlussminute machte Jan Eggers nach Querpass von Chris Pfeifer ganz überlegt mit der rechten Innenseite den Deckel zum 5:2 drauf (90.)!

„Der Fußball-Gott hat gesehen, was auf dem Platz passiert ist“ - Sonderlob für Gaedtke

Insgesamt fünf Tore und den Einzug ins Pokal-Viertelfinale durften die Barmbeker bejubeln. Foto: Andre Matz

„So ähnlich wie wir das in der zweiten Halbzeit gespielt haben, wollten wir das spielen. Wir haben natürlich ganz bewusst noch früher und schneller attackiert. Da kommt dann die Frage auf: Warum spielt man das nicht 90 Minuten?!“, machte sich nicht nur Pieper-von Valtier Gedanken über das Auftreten. „Die Frage kann letztendlich aber nur der Spieler auf dem Feld beantworten, warum er nicht in der ersten Halbzeit so viel auf dem Platz investiert und so viel Gas gegeben hat. Denn auf einmal waren wir läuferisch viel stärker, willig in den Zweikämpfen und wollten diese unbedingt führen und gewinnen. Das war in den ersten 38 Minuten nicht der Fall – und dann kann man über 52 Minuten nicht unbedingt so ein Spiel gewinnen“, bilanzierte der Cordi-Coach, der mit seinem Team weiter tief in der Krise steckt. Während sein Gegenüber zu Protokoll gab: „Wir wollten das Spiel mit aller Macht gewinnen und wussten, dass wir qualitativ die bessere Mannschaft sind. Der Fußball-Gott hat auch gesehen, was heute auf dem Platz passiert ist. Dementsprechend hatte ich auch gar keine Bedenken, dass wir das Spiel nochmal aus der Hand geben. Alles andere wäre komplett unverdient gewesen und wir hatten ja auch in der zweiten Hälfte noch etliche Chancen, um frühzeitig für Klarheit zu sorgen“, so Stier, der seinem zuletzt durchaus auch gescholtenen Schlussmann Oliver Gaedtke, der zweimal glänzend parierte, ein Sonderlob aussprach: „Vor der heutigen Leistung muss ich den Hut ziehen – auch davor, wie er die Sache weggesteckt hat. Er hat das als 19-Jähriger – zwar mit Tränen in den Augen, was mir auch sehr leidtat – angenommen. Aber er gibt im Training 100 Prozent. Und wenn dann solche Spiele dabei herauskommen, dann bin ich auch zufrieden und er darf häufiger spielen.“

„Wenn wir das auf den Platz bringen, wird’s schwer, uns zu schlagen“

Durch das 5:2 steht BU nun im Viertelfinale des ODDSET-Pokals und hofft auf den ganz großen Wurf. „Wenn man schon so weit kommt, dann will man natürlich auch mindestens ins Halbfinale oder ins Finale kommen. Da brauche ich gar nicht um den heißen Brei herumreden. Und die Jungs haben es auch drauf, ins Finale einzuziehen. Jeder weiß, wenn wir das auf den Platz bringen, was wir können, dann wird’s schwer, uns zu schlagen“, so Stiers abschließende Kampfansage.

Autor: Dennis Kormanjos