Oberliga

Schnee-Chaos sorgt für 36-Minuten-Halbzeit: Mit Slapstick und Joker-Glück - HEBC in Unterzahl zum Derbysieg!

05. März 2023, 14:09 Uhr

Der HEBC feiert den 3:2-Derbysieg über den SC Victoria Hamburg - in Unterzahl. Foto: Kormanjos

Soeben hatte Vincent Boock das Spielgerät nach einer Stafette über Luca Palzer und Dennis Bergmann unter die Latte gejagt und seinen SC Victoria Hamburg in Front geschossen (34.), da beorderte Schiedsrichter Henry Wagner die beiden Kapitäne Janek Wrede (HEBC) sowie Felix Schuhmann (SCV) zu sich und informierte die Teams über seine Entscheidung, die Halbzeitpause vorzuziehen (36.). Der Grund: Am Reinmüller herrschte ab der achten Spielminute ein immens wildes Schneetreiben (alle Highlights im LIVE-Ticker). Innerhalb kürzester Zeit war das grüne Kunstgeläuf komplett weiß bedeckt. Das Eimsbütteler Derby mutierte zu einer wahren Rutschpartie und erinnerte eher an eine Teilnahme bei den Olympischen Winterspielen im Eisschnelllaufen. Aber genau in dem Moment, als der Gast auf die Siegerstraße abbog und Referee Wagner die Mannschaften zum verfrühten Pausentee bat, zog der Schneefall von dannen, der Himmel klarte auf und keine zehn Minuten später kam sogar die Sonne heraus. Verrückte (Amateur-)Fußballwelt!

Binnen kürzester Zeit war der Platz am Reinmüller vom Schnee komplett bedeckt und sorgte für eine verrückte erste Halbzeit, die nach 36 Minuten ein Ende fand. Foto: Kormanjos

Offizielle und Ersatzspieler des HEBC "schaufelten" die Linien des Platzes frei - nachdem Torwart-Trainer Stefan Knauß Mitte des ersten Abschnitts bereits einen Sack mit roten Bällen aus der Kabine holte und das Spielgerät auf Anordnung von Wagner getauscht wurde. Perfekt gemacht wurde der totale Slapstick-Vormittag an der Tornquiststraße, als die Mannschaften wieder raus kamen, zum Wiederanpfiff bereit standen - und plötzlich wieder der Schneefall einsetzte! Zehn Minuten ließ Wagner spielen und pfiff dann offiziell zur "Pause", die beide Seiten zu einer kurzen Besprechung und dem Seitenwechsel nutzten. "Das wird unsere Halbzeit!", war von der HEBC-Bank zu vernehmen. "Das lassen wir uns nicht nehmen!", pushte man sich noch einmal gegenseitig. Mit Erfolg!

Theißen erst traumhaft und akrobatisch - dann als "Unglücksrabe"

Kevin Houndjame (vo.) bei der Ausführung eines Freistoßes in den Anfangsminuten, als die Fußball-Welt in Eimsbüttel noch in Ordnung war. Foto: Kormanjos

Während Vicky-Schlussmann Dennis Lohmann in der ersten Hälfte den Rückstand verhinderte, als er einen Kopfball von Lion Jodeit in glänzender Manier aus dem Eck kratzte (32.), und auch zu Beginn der zweiten 45 Minuten zunächst sensationell gegen die freistehenden Jodeit und Nikola Prom parierte (46.), zog Özden Kocadal nach dem "Re-Start" zwei neue Asse aus dem Ärmel. Der HEBC-Coach brachte mit Johann Buttler und Robert Schick zwei frische Offensivkräfte. Ersterer servierte Malte Wilhelm den Ausgleichstreffer auf dem Silbertablett (49.), ehe Schick eine traumhafte Flanke von Prom schulbuchmäßig und gänzlich unbedrängt zur Führung ins lange Eck schädelte (54.)!

Die Lila-Weißen hatten das Spiel gedreht, die Kontrolle übernommen und wirkten auch fußballerisch reifer. Das bärenstarke "Arbeitstier" Piet Oldag verpasste aber die Vorentscheidung (57.) - und urplötzlich kippte das Geschehen wieder. Aus dem Nichts traf der eigentliche Alt-Herren-Spieler Dennis Theißen, der mal wieder aushelfen musste, nach einem Standard akrobatische per Fallrückzieher über Patrick Meins hinweg zum Ausgleich (69.)! Als dann auch noch der bereits gelbverwarnte Allan Muto gegen Felix Schuhmann zu spät kam und die Ampelkarte sah, schien die Partie eine abermalige und komplette Wendung zu nehmen. Doch dann unterlief dem kurz zuvor noch gefeierten Kunstschützen Theißen ein kapitaler und viel zu kurz geratener Rückpass. Schick spritzte dazwischen, legte uneigennützig quer - und ermöglichte einem weiteren Joker den Torerfolg. Raoul Bouveron musste nur noch "Danke" sagen - wohlgemerkt in Unterzahl (79.)!

Krause bedient: "Nichts schönreden!"

Vicky schaffte es auch mit einem Mann mehr auf dem Platz überhaupt nicht, den Gegner unter Druck zu setzen. Dementsprechend fiel auch das Fazit von Cheftrainer Joshua Krause aus: "Ernüchternd", entgegnete er - und führte aus: "Wir kriegen einfach zu viele Gegentore, spielen aber auch jede Woche mit einer anderen Innenverteidigung. Ich musste das vierte Mal in Folge verletzungsbedingt wechseln, die letzten drei Spiele habe ich jeweils nach zehn Minuten einen Innenverteidiger rausnehmen müssen. Letztendlich ist es einfach so, dass uns diese Scheiße am Schuh seit Wochen begleitet - und dann passiert eben sowas wie beim dritten Tor." Man müsse aber "auch nichts schönreden", betonte Krause. "Denn wir haben nicht gefährlich gespielt und HEBC kaum in die Bredouille gebracht. Das beschäftigt uns nun auch schon seit Wochen, dass wir im letzten Drittel nicht mehr diese Gefahr ausstrahlen."

"Was sind wir bitte für ein Haufen - unfassbar!"

Malte Wilhelm (li.) brachte den HEBC unmittelbar nach dem Wiederanpfiff vom Wiederanpfiff mit dem Ausgleichstreffer ins Spiel zurück. Foto: Kormanjos

Und im Endeffekt sei auch die taktische Ausrichtung egal: "Wenn du mit fortlaufender Spielzeit diese Intensität im Kollektiv nicht mehr gehst, die Lücken immer größer, die Rest-Verteidigung und auch die Rückwärtsbewegung immer schlechter werden, dann wird es schwer in dieser Liga. Und HEBC hat das übers Kollektiv gut gemacht." Er könne "weiter irgendwelche Parolen schwingen", so Krause. "Aber jetzt gerade ist es echt beschissen!"

Trübsal wurde auf der einen Seite geblasen - zumindest vom Übungsleiter. Feierstimmung herrschte hingegen beim HEBC. "Was sind wir bitte für ein Haufen - unfassbar!", lobhudelte Kocadal seine Kicker im Teamkreis - und erklärte anschließend: "Da kann man jetzt gar nicht groß ins Detail reingehen und darüber philosophieren, ob's verdient oder unverdient ist - das interessiert mich sowieso nicht so sehr", sprach er auf die widrigen Bedingungen an. "Ich bin einfach mega stolz auf die Truppe!" Aufgrund von Verletzungen und Sperren musste er "schön umbauen und den Spagat gehen zwischen Spielern, die sich das eigentlich verdient haben, zu spielen - und dem Gedanken, was wäre das bessere System, um Vicky zu schlagen. Wir haben uns für die erste Alternative entschieden. Ich muss aber ehrlicherweise sagen, dass das nicht so gut funktioniert hat."

"Das war ein mega großer Schritt"

Luca Palzer (vo.) leitete die Vicky-Führung ein, konnte die Niederlage seines Teams nach einer mannschaftlich schwachen Leistung aber auch nicht verhindern. Foto: Kormanjos

Nach einer "komischen" und merkwürdigen" ersten Halbzeit habe es mit den Wechseln und der Systemumstellung auf ein 4-2-3-1 aber plötzlich funktioniert. "Wir machen zwei, manchmal auch drei Matchpläne", verriet Kocadal. "Wir haben halt zweimal die Woche nur den halben Platz - da kann man nicht großartig taktische Dinge trainieren. Aber die Spieler setzen das um und sind gerade voll drin. Wir haben einen mega geilen Lauf - den wollen wir fortführen!" Er sei "einfach überglücklich", betonte Kocadal. Denn "das war ein mega großer Schritt. Wir hatten uns als Team das Ziel gesetzt, im Februar und März gegen die 'Big Player' so viele Punkte wie möglich zu holen. Das allergrößte Ziel ist und bleibt aber, den Nichtabstieg perfekt zu machen - und das am liebsten noch vor dem letzten Spieltag. Dem Ziel kommen wir immer näher."

Kocadal schwelgt in Erinnerungen

Vicky-Mittelfeldspieler Luca Ernst (li.) und HEBC-Angreifer Lion Jodeit im Kampf um den Ball. Foto: Kormanjos

Abschließend blicken wir nochmal auf die Witterungsverhältnisse, die ein normales Fußballspiel lange Zeit nicht möglich machten. Während dem SCV unmittelbar nach dem Führungstor der Flow genommen wurde und nach Wiederbeginn gänzlich abhandenkam, schwelgte Kocadal in alten Erinnerungen: "Das habe ich noch nie mitten im Spiel erlebt, dass es dann so geschneit hat. Ich hatte schon Abbrüche wegen Regen, Blitz und Donner. Ich hatte hier auch schon mal auf Grand ein legendäres Pokalspiel gegen St. Pauli II, was wir 3:1 gewonnen haben. Da war aber schon vorher alles zugeschneit. Damals hat man aber trotzdem noch gespielt." 


Nun wurde man vor ganz besondere Herausforderungen gestellt. "Man sieht halt, dass wir ein Amateurverein sind. Erst sind keine orangenen Bälle da, dann weiß keiner, wo hier überhaupt Besen zum Freimachen der Linien sind." Schlussendlich konnte man jedoch sämtlichen Widerständen trotzen und einen weiteren legendären Reinmüller-Vormittag feiern...

Autor: Dennis Kormanjos