Oberliga

Nach über anderthalbjähriger Verletzungspause: Malte Wilhelm über seine „Leidenszeit“

08. Dezember 2020, 16:18 Uhr

Ende April 2019 verletzte sich Malte Wilhelm (Mi.) so schwer, dass er sich seither keinem Team mehr anschloss. Mit uns hat er über die "Leidenszeit" gesprochen. Foto: KBS-Picture.de

28. April 2019. Tatort: Berner Heerweg. Nicht einmal zehn Minuten war die Oberliga-Partie zwischen dem SC Condor und dem Niendorfer TSV alt, als es zu einem folgenschweren Pressschlag kam. Eine Aktion, die das Aufeinandertreffen zwischen den damals noch in Hamburgs höchster Amateurklasse kickenden „Raubvögeln“ und den „Sachsenweglern“ für circa 22 Minuten ruhen ließ. Denn: NTSV-Spielgestalter Malte Wilhelm verletzte sich in jener Szene folgenschwer (HIER mehr dazu). Der 29-Jährige musste im Rettungswagen abtransportiert werden und zog sich einen Schien- und Wadenbeinbruch zu.

186 Oberligaspiele (25 Tore) absolvierte Wilhelm (re.) für den Niendorfer TSV. Foto: KBS-Picture.de

Seither sind fast ein Jahr und acht Monate vergangen – auf dem Fußballplatz hat man Wilhelm in der Zwischenzeit nicht mehr gesehen. Der Mittelfeldakteur lebt inzwischen in München, ist einer Rückkehr in die Hansestadt aber nicht abgeneigt. Wir haben mit ihm über den folgenschweren Moment, die Verletzung an sich, Komplikationen bei der Operation, aber natürlich auch über eine Rückkehr ins Fußball-Geschäft gesprochen…

FussiFreunde: Malte, die schwere Verletzung ist nun schon über anderthalb Jahre her. Wie ist es dir in der Zwischenzeit ergangen?

Malte Wilhelm: „Mir geht es soweit tatsächlich super. Die Verletzung war natürlich echt beschissen, weil es zu dem Zeitpunkt wirklich super lief. Ich hab‘ da aber unheimlich tollen Support von Freunden und Familie bekommen, sodass es mir auch ohne Fußball wirklich gut ging.“

Und wie sieht das jetzt aus? Fehlt dir der Fußball – oder hältst du es nach wie vor ohne das runde Leder am Fuß gut aus?

Bei den "Sachsenweglern" war Wilhelm (re.) jahrelang eines der Aushängeschilder. Foto: KBS-Picture.de

Wilhelm: „Ich bin im Januar in die Unternehmensberatung gewechselt – ein Beruf, in dem ich montags bis donnerstags immer beim Kunden bin. Aus diesem Grund ist ein regelmäßiges Fußball spielen allein deswegen schon nicht möglich. In letzter Zeit hat es aber immer mehr gejuckt. Nachdem ich ein paar Mal mit Freunden kicken war, habe ich angefangen, in München bei einer Landesliga-Mannschaft mitzutrainieren und ab und zu auch bei Niendorf mittrainiert, weil ich unter anderem zu Ali ein super Verhältnis habe.“

Kannst du denn inzwischen wieder gänzlich ohne Schmerzen spielen?

Wilhelm: „Überraschenderweise macht der Körper schon richtig gut mit: in München sollte ich schon einen Vertrag unterschrieben und wenn es nach Ali geht, dann bin ich in meinem ‚39. Frühling‘ (lacht). Derzeit lässt mein Beruf/mein Projekt in München ein regelmäßiges Fußballspielen nicht zu. Wie es in der Zukunft aussieht, weiß ich noch nicht. Aber der Plan ist, dass meine Verlobte und ich wieder zurück nach Hamburg kommen und dann werden die Beine wahrscheinlich immer doller jucken (lacht).“

Wenn wir mal auf den Moment zurückblicken, wo es – auch für Außenstehende – zu dieser folgenschweren Aktion kam: Was ist dir im ersten Moment durch den Kopf gegangen?

Mit seiner eleganten Ballbehandlung gehörte Wilhelm jahrelang zu den Edel-Technikern in der Oberliga. Foto: KBS-Picture.de

Wilhelm: „In dem Moment, als ich mit meinem Gegenspieler zusammengeprallt bin, habe ich direkt gemerkt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ich hatte mich zwar bis zu diesem Moment noch nie stark verletzt, aber ich wusste, dass das jetzt der Fall war, weshalb ich auch direkt Ali zugerufen habe, dass er bitte einen Krankenwagen rufen soll. Ich war aber relativ ‚klar‘ im Kopf: Ich wusste zwar auf der einen Seite, dass ich wahrscheinlich eine längere Zeit kein Fußball mehr spielen kann, auf der anderen Seite konnte ich in diesem Moment sowieso nichts daran ändern. Also war ich trotz der Schmerzen in den ersten Minuten verhältnismäßig entspannt. Ich glaube, dass andere, die den Unfall gesehen haben, in dem Moment schockierter waren als ich.“

Wie lange hattest du mit der Verletzung zu kämpfen und inwieweit beeinträchtigt sie dich noch heute?

Wilhelm: „Leider hatte ich zusätzlich zu dem Bruch noch das Pech, dass es zu einem sogenannten Kompartmentsyndrom (der Zustand, in welchem bei geschlossenem Haut- und Weichteilmantel ein erhöhter Gewebedruck zur Verminderung der Gewebedurchblutung führt, woraus neuromuskuläre Störungen oder Gewebe- und Organschädigungen resultieren; Anm. d. Red.) gekommen ist. Durch diese Komplikation musste ich länger im Krankenhaus bleiben und hatte vor allem in den ersten Wochen große Probleme mit den Nerven im Fuß. Glücklicherweise hatte ich eine wirklich gute Behandlung durch Ärzte und Physios und unglaubliche Unterstützung durch Freunde und Familie. Nach einer Zeit auf Krücken konnte ich dann irgendwann endlich wieder normal gehen. Fußball hatte aber dann – vor allem auch wegen meiner beruflichen Situation beziehungsweise der damit verbundenen Reisetätigkeit – erstmal keine Priorität. Irgendwann habe ich dann angefangen, wieder regelmäßiger Sport zu machen und auch ab und zu kicken zu gehen. Das Bein merke ich zwar manchmal schon noch, aber richtige Schmerzen halten sich in Grenzen.“ 

Verrate uns doch mal, was du im Nachgang alles an ärztlichen Eingriffen über dich ergehen lassen musstest und was im Endeffekt wirklich alles beschädigt war...

Mit dem NTSV erlebte Wilhelm (Mi.) viele schöne und freudige Momente... Foto: KBS-Picture.de

Wilhelm: „Zunächst habe ich mir das Schien- und das Wadenbein gebrochen. Das wurde in einer ersten Operation durch einen Nagel, der in den ganzen Schienbeinknochen eingeführt wird, fixiert. Durch das angesprochene Kompartmentsyndrom, das glücklicherweise relativ schnell festgestellt wurde, musste ich noch fast zwei weitere Wochen im Krankenhaus bleiben. In dieser Zeit wurden weitere drei Operationen durchgeführt. Es wurde mein gebrochener Unterschenkel an beiden Seiten komplett aufgeschnitten und dann in zwei Schritten beziehungsweise Operationen wieder zugenäht. Die Gefahr, dass ich meine kompletten Nerven im rechten Fuß verlieren würde, war tatsächlich relativ groß und in den ersten Wochen auch spürbar. Dadurch musste ich noch wirklich unangenehme Tests, wie lange Spritzen ins Schienbein oder ‚Elektroschocks‘ an beiden Beinen, über mich ergehen lassen.“

Was macht so eine Verletzung mit einem Menschen?

... dazu zählt auch das Erreichen des ODDSET-Pokalfinals 2018 - wenngleich gegen die TuS Dassendorf kein Kraut gewachsen war. Foto: KBS-Picture.de

Wilhelm: „Ich glaube, dass man durch so eine Verletzung auch wächst. Zwangsläufig lernt man, anderen Dinge im Leben noch mehr Zeit zu widmen und mit solch einem Rückschlag umzugehen. Mir wurde außerdem noch mehr bewusst, wie viele tolle Menschen ich kenne, die mich unterstützt und mir geholfen haben, wofür ich jedem Einzelnen immer noch sehr dankbar bin. Die Verletzung hatte rückblickend natürlich überwiegend negative Auswirkungen, aber einige positive Konsequenzen konnte ich ihr trotzdem abgewinnen.“ 

Dich hat es nun vorerst nach München gezogen, aber du sagtest auch schon, dass du eine Rückkehr nach Hamburg anstrebst: Wenn das der Fall ist und du wieder anfangen solltest, zu kicken, dann wieder für Niendorf – oder könntest du dir auch etwas ganz anderes vorstellen?

Wilhelm: „Im Herrenfußball habe ich in Deutschland bisher nur für Niendorf gespielt und das hat natürlich auch Gründe. Vom fußballerischen Niveau und auch vom Menschlichen hat es immer gut gepasst. Ich habe zu den Verantwortlichen immer noch ein sehr gutes Verhältnis und trainiere auch, wenn ich mal in Hamburg bin, dort mit. Es wär‘ schon schön, wieder unter Ali Farhadi zu trainieren und mit Freunden wie Fynn Huneke, Lennard Speck oder Dario Streubier zu spielen. Für mich wär es aber auch ein Traum, irgendwann mal für meinen ehemaligen Kapitän, Freund und mittlerweile HEBC-Trainer Özden Kocadal zu spielen. Bis ich mich konkret mit dem Gedanken beschäftige, ob und wann ich bei welchem Verein in welcher Liga spielen möchte, werden aber noch ein paar Tage ins Land gehen. Grundsätzlich vermisse ich aber sowohl den Fußball als auch die Gemeinschaft auf und neben dem Platz – und natürlich juckt es von Tag zu Tag mehr in den Beinen.“

Autor: Dennis Kormanjos