Kreisliga 7

Klemme: „Mir war es wichtig, ohne Filter mit der Vergangenheit abzuschließen“

18. Juni 2020, 11:08 Uhr

Heiko Klemme (re.) ist nach einem dunklen Kapitel zurück im Leben! Mit uns hat er "ein allerletztes Mal" über seine schwere Zeit, aber auch über die Zukunft gesprochen. Foto: privat

Heiko Klemme ist zurück! Kaum wiederzuerkennen, 30 Kilogramm leichter, seit drei Jahren rauchfrei – und vor allem: Mit sich selbst im Reinen. Anfang Februar hatte der Sympathieträger der Hamburger Amateurfußballszene schonungslos offen und ehrlich mit sich und seinem vorigen Leben abgerechnet, als der gerade 44 Jahre jung gewordene Klemme seine langjährige Spielsucht und Suizidgedanken offenbarte – und dabei auch ins Detail ging (HIER). 

Nun ist der einstige Übungsleiter des HEBC, VfL Pinneberg II, SC Condor II und Eintracht Lokstedt, wo im Oktober 2016 der vorläufige (auch private) Tiefpunkt erreicht war, wieder da – und sagt: „Das alles Entscheidende ist, dass du als Süchtiger folgendes Problem hast: Die Sucht bestimmt dein Leben. Wenn du es aber geschafft hast, aus dieser Spirale rauszukommen, kann ich als Person mein Leben selbst bestimmen. Und das ist das schönste Gefühl überhaupt!“ Er sei noch immer „voller Demut“, so Klemme, der mit seinem langen Weggefährten Marcus Jürgensen seit Mitte Februar ein Trainer-Gespann beim Kreisligisten TuS Appen bildet – doch Corona macht der Comeback-Tour bis dato einen Strich durch die Rechnung. Erst zweimal konnte Klemme bei einem Spiel seines neuen Vereins an der Seitenlinie dabei sein. Wir haben uns mit ihm getroffen und über die dunkle Vergangenheit, zu der er „ein allerletztes Mal“ Stellung bezogen hat, gesprochen. Denn: „Ich bin nicht wichtig! Es gibt viel Wichtigeres im Leben.“ Auch über eine hoffentlich rosige Zukunft sowie sportliche Absichten mit Appen hat er sich geäußert…

FussiFreunde: Wie hast du mit dem vorigen Leben abgeschlossen, um nun für dich bereit zu sein, in den Fußball zurückzukehren?

"Bevor ich den Schritt zurück in die Öffentlichkeit mache, muss die Öffentlichkeit erfahren, was war - ohne Filter", so Klemme. Foto: privat

Heiko Klemme: „Im Grunde genommen ist es mit dem Outing abgeschlossen. Es ist wie im wahren Leben: Alles was war, kannst du nicht mehr verändern. Du kannst nur nach vorne gucken und es so machen, dass es richtig ist. Das ist mein Plan – und mehr kann ich für mich nicht machen.“

Wie wichtig war es dir persönlich, deine Vergangenheit auch öffentlich so darzulegen und dich quasi einmal komplett nackt zu machen?

Klemme: „Aufgrund dessen, dass es um meine Person gefühlt 348 verschiedene Gerüchte gegeben hat, habe ich für mich gedacht: Bevor ich den Schritt zurück in die Öffentlichkeit mache, muss die Öffentlichkeit erfahren, was war. Und das ohne Wenn und Aber und ohne Filter drauf, sondern mit der nackten Wahrheit. Ich denke, damit habe ich von Anfang an alle Fragen beantwortet – und wer jetzt noch welche hat, darf gerne auf mich zukommen. Aber Fakt ist, dass es für mich wichtig war, mit der Vergangenheit aufzuräumen und neu zu starten.“

Inwieweit hast du in der Zeit, als du begonnen hast, dein Leben umzukrempeln, das Amateurgeschehen, was bis dato ja mehr oder weniger dein „Zuhause“ war, weiter verfolgt?

Klemme: „Am Anfang war es tatsächlich so, dass es mich überhaupt nicht mehr interessiert hat, weil ich einfach den Boden unter den Füßen verloren habe – und es nicht mehr das war, was ich jahrelang gemacht habe. Ich habe keine Ergebnisse und gar nichts mehr verfolgt. So richtig ‚eingestiegen‘ bin ich erst 2018 wieder. Da habe ich damit begonnen, Ergebnisse zur Kenntnis zu nehmen, mir irgendwelche Wechsel anzusehen oder zu gucken, welche Trainerkollegen jetzt wo sind. Aber bis dahin hatte ich es komplett ausgeblendet, weil ich auch ein Stück weit genug mit mir selbst zu tun hatte.“

Gibst du dem Fußball oder dem Leben, das du auch als Trainer geführt hast, eine Mitschuld daran, dass es so weit gekommen ist?

Im Februar vermeldete der TuS Appen die Rückkehr von Klemme (Mi.) in den Fußball-Zirkus. Foto: Verein

Klemme: „Nein. Denn die ‚Schuld‘ daran oder wieso und weshalb sich das so ergeben hat, ist rein privater Natur. Die hat mit dem Fußball nichts zu tun. Das ist eine Entwicklung aus der Kindheit und Jugendlichkeit. Das ist auch nicht nur eine Sache, sondern eine Entwicklung, die dazu geführt hat. Ich würde sogar sagen, dass das genaue Gegenteil der Fall ist. Der Fußball war das, was mich jahrelang am Leben gehalten hat. Der Fußball war das wahre ich. Alles andere war es nicht. Ich kann sagen: Wer mich vom Fußball kannte, der kannte mich richtig – alle anderen nicht.“

Um das Thema dann auch abzuschließen: Was hat dazu geführt, dass du nun den Weg zurück ins „Fußball-Geschäft“ gewählt und gefunden hast?

Klemme: „Der Kontakt zu Marcus Jürgensen, der Trainer des TuS Appen ist. Der wieder entstandene Kontakt zu Spielern, die in Appen spielen. Kontakte zu Eltern von Spielern, die den direkten Kontakt zu mir gesucht und mich dazu gebracht haben, dass ich mir Anfang der Saison ein, zwei Spiele in Appen angeguckt habe. All die haben mir das Gefühl gegeben, wieder ein Teil von dem werden zu können. Und das Gefühl, dass etwas hinter mir liegt, was abgeschlossen ist. Einfach dieses Gefühl, dass ich vom Typ unbedingt dazu gehöre. Das alles war sehr motivierend. Daraufhin gab es ein, zwei Gespräche mit Marcus Jürgensen und dem Verein. Dann war alles klar.“

Klemme hat nicht nur seine Sucht besiegt, sondern auch 30 Kilogramm abgenommen. Foto: privat

Wirft man einen Blick auf den Kader und nur auf die Namen, dann fällt auf, dass in Appen der eine oder andere Spieler dabei ist, der schon mal höher gespielt hat – auch mit dir damals in der Landesliga mit Pinneberg II dabei war. Trotzdem war die Saison als Tabellenelfter eher semi-erfolgreich. Woran machst du das fest?

Klemme:
„Ich glaube, dass es einfach so ist, dass im beschaulichen Appen der Fußball an sich vielleicht nicht so hochgepusht wird. Überall wo ich war, ob nun in Pinneberg, bei Condor II oder zum Schluss in Lokstedt: Ich war nie einer, der dir eine Viererkette erklärt, die abkappende Sechs oder die flache Neun. Aber ich konnte dem Jungen erklären, dass er sich verdammt nochmal den Arsch aufzureißen hat. Denn wir machen das nicht, um uns hier zum Picknick zu treffen, sondern um Fußballspiele zu gewinnen. Und vielleicht hat das ein Stück weit gefehlt. Von den Namen her ist das eine gute Truppe. Aber auch die Jungs werden nicht jünger. Viele haben mal Landesliga gespielt, aber wenn du sie heute triffst, dann haben sie nach dem Training alle Rücken oder der Knöchel tut weh. Sie machen alle mehr ‚Stabi‘-Übungen als alles andere, weil sie sich sonst nicht mehr bewegen können. Fakt ist aber auch: In der Kreisliga zu sagen, da marschiert man einfach mal so durch – das ist nicht der Fall. Wir hatten mit Komet Blankenese und Lohkamp zudem zwei Teams in der Liga, die alles weggeschossen haben. Wenn du dann vielleicht nicht diesen 100-prozentigen Push hast, wirst du halt nur Elfter.“

Wie sieht die Zielsetzung für die kommende Saison aus – oder anders gefragt: Will und kann man ganz oben angreifen?

Klemme: „Ich glaube, es wäre nach einem elften Platz und der Corona-Abbruch-Geschichte vermessen, zu sagen: Nächstes Jahr schießen wir die Netze im Kreis Pinneberg kaputt. Das wäre Quatsch! Fakt ist aber auch, dass ich sage: Sportlich muss sich etwas verbessern – und es wäre ja schon eine Verbesserung, wenn wir Zehnter werden (lacht).“

Abschließende Frage: Inwiefern könntest du dir vorstellen, in der Zukunft auch wieder ins größere Rampenlicht zurückzukehren und die eine oder andere Liga höher als Trainer tätig zu sein?

Zusammen mit Marcus Jürgensen (li.) fungiert Klemme als Trainer-Gespann beim TuS Appen. Foto: Verein

Klemme: „In allererster Linie bin ich dem TuS Appen total dankbar, dass man mir die Chance gibt, dass ich überhaupt wieder Fuß fassen darf! Und damit wären wir auch schon beim Thema: Ich muss nämlich erstmal wieder Fuß fassen. Denn als es losging, kam Corona – das hat uns den Fußball und den Spaß genommen. Wir treffen uns immer noch zweimal die Woche und haben wirklich immer zwischen 16 und 22 Mann beim Training, obwohl wir ja auf nichts hintrainieren – und keine Trainer am Rand sind, sondern eher Sozialpädagogen. Aber die Jungs haben Bock darauf. Ich bin Appen sehr dankbar, dass ich wieder da bin – und was da rauskommt, schauen wir mal. Ich habe für die neue Saison zugesagt. Sollte irgendwann mal irgendwer sagen: ‚Mensch, Klemme. Ich habe mal im Internet geguckt und gesehen, dass du in einem Leben ja doch schon mal ein, zwei Spiele gewonnen hast.‘ Dann bin ich natürlich auch nicht abgeneigt, mir das mal anzuhören.“

Autor: Dennis Kormanjos