Karch: "Keiner ist bereit, sich den Arsch aufzureißen und mehr als das Nötigste zu tun!"

HSV III-Coach mit Brandrede nach neuerlicher Pleite

02. Oktober 2017, 05:45 Uhr

HSV III-Coach Felix Karch bemängelt die Einstellung bei einigen Spielern und meint: "So holen wir bis zum Winter keinen Punkt mehr!" Foto: KBS-Picture

Mit stoischer Miene blickte Felix Karch nach der 2:5-Schlappe gegen den TuS Osdorf minutenlang in die Ferne. Was schoss ihm in jenem Moment durch den Kopf? „Es ist zurzeit jede Woche das gleiche. Wir kriegen einen Nackenschlag nach dem anderen“, erklärte er wenig später, nachdem er sich kurz gesammelt hatte – und dann klare Worte zur aktuellen Situation fand. „Aktuell sind wir einfach zu schlecht!“ Das war jedoch nur der Anfang. Erst einmal in Fahrt gekommen, redete sich der Trainer des Oberliga-Aufsteigers HSV III regelrecht in Rage und nahm seine Mannschaft vehement in die Pflicht.

Es war eine Situation, die zur aktuellen Lage der „Rothosen“ passte, als sich Damian Ilic und Dimitrij Rikspun am Freitagabend um die Ausführung eines mehr oder minder belanglosen Freistoßes stritten. Letztgenannter schlug dabei seinem Teamkollegen – neben Keeper Jan Haerting in den letzten Wochen einer der ganz wenigen, der Normalform erreichte – den Ball aus der Hand. Was eher an ein Kindergarten-Scharmützel oder an die „Elfmeter-Fehde“ zwischen den Pariser Superstars Neymar und Cavani erinnert, ist in Wirklichkeit ein Beispiel dafür, weshalb es beim Oberliga-Neuling nicht läuft. Ein Großteil der Mannschaft scheint nur auf seine eigenen Interessen aus zu sein. Ein Punkt, der den Trainer im Nachgang auf die Palme brachte. „Im Ernst: Das geht mir am Arsch vorbei! Damit will ich mich gar nicht beschäftigen. Wenn sie meinen, sie müssen sich um einen Freistoß streiten, dann sollen sie das machen. Wenn sie danach wieder den Kopf frei kriegen und Fußball spielen, ist mir das total egal. Das ist die kleinste Baustelle, die wir haben“, erreichte Karch so langsam Betriebstemperatur, und entgegnete auf Nachfrage, was denn zurzeit die größte Baustelle sei: „Wo soll ich anfangen?!“

"Wir sind nicht mehr in der Bezirksliga - und die Oberliga ist kein 'Ditschi-Datschi' mehr"

Torhüter Jan Haerting ist einer der wenigen, der in den letzten Wochen Normalform erreichte - und sein Team sogar vor noch deutlicheren Pleiten bewahrte. Foto: KBS-Picture

Doch dann sprudelte es aus ihm heraus. „Die größten Probleme sind, dass wir es aktuell nicht auf die Platte kriegen, was wir uns unter der Woche im Training erarbeiten, dass wir zu einfache Gegentore kriegen – und dass wir mit Leuten spielen müssen, die zurzeit nicht in der Verfassung sind, Oberliga zu spielen!“ Der Aufstiegscoach bemängelt nicht nur die körperlichen Defizite, sondern auch die Einstellung einiger Spieler. „Man muss sich doch nur mal unseren heutigen Kader angucken. Da sitzen zwei Leute auf der Bank, die die ganze Woche nicht trainiert haben – einer von ihnen seit Wochen nicht. Dann hast du andere, die in den Urlaub oder lieber aufs Oktoberfest fahren. Da muss man vielleicht auch mal die Einstellung beim einen oder anderen hinterfragen. Wir sind schließlich nicht mehr in der Bezirksliga.“ Sich selbst ließ er bei der geäußerten Kritik nicht außen vor. „Den Schuh müssen auch wir als Verantwortliche uns anziehen, weil wir den Kader zusammengestellt haben. Nichtsdestotrotz hatten wir eigentlich die Erwartungshaltung – und das haben auch wir vor der Saison so vorgegeben –, dass die Jungs da mit einer hohen Ernsthaftigkeit rangehen und das Ganze nicht mehr nur noch als reines Hobby ansehen, sondern schon erkennen, dass die Oberliga eben kein ‚Ditschi-Datschi‘ mehr ist. In dieser Liga musst du nun mal viel arbeiten, um mithalten und bestehen zu können. Und wenn ich dann sehe, dass wir wahrscheinlich die Oberliga-Mannschaft sind, bei der die Trikots am meisten spannen, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass man da steht, wo man steht!“

"Keiner ist bereit, sich den Arsch aufzureißen und mehr als das Nötigste zu tun"

Trumpft nun beim FC Teutonia 05 ganz groß auf und ist einer der Oberliga-Shootingstars: Veli Sulejmani (re.). Foto: KBS-Picture

Deutliche Worte, von denen Karch noch einige weitere folgen ließ. „Der eine ist mal hier, mal da im Urlaub. Der andere hat irgendwelche Termine, fährt mit seiner Freundin ins Kino oder kommt nicht zum Training, weil die Tante Geburtstag hat – damit kann ich nichts anfangen. Ich stehe an meinem Geburtstag mit zwei Mannschaften drei Stunden auf dem Platz, weil ich weiß, dass es wichtig ist. Scheinbar lebe ich es nicht richtig vor – oder die Jungs verstehen nicht, was wichtig ist. Und scheinbar verstehen sie ebenso wenig, dass du, wenn du fußballerisch zu schlecht bist, vom Körperlichen her einfach besser sein musst. Und dafür muss man mehr machen! Aber hier ist keiner mal bereit, sich den Arsch aufzureißen – oder mehr als das Nötigste zu tun. Selbst das ist für die meisten schon zu viel – und das verstehe ich nicht. Ich gehe auch dreimal die Woche ins Fitnessstudio, weil ich’s für mich schaffen will und muss. So gewinnst du keine Oberligaspiele! Mit der Einstellung, dem Charakter – und dem, was wir hier über 90 Minuten bieten, haben wir es auch schlichtweg nicht verdient, ein Spiel zu gewinnen. Punkt.“

Seit fast drei Jahren ist der 33-Jährige nun bei der Drittvertretung des HSV im Amt. In all der Zeit ging es stetig steil bergauf – aus der Bezirks- bis in die Oberliga. Karch feierte mit seinen „Rothosen“ Erfolg um Erfolg. Jetzt muss er mit seinem Team das erste Mal eine längere Durststrecke überstehen. Eine Situation, die dem übermäßig ehrgeizigen Übungsleiter zusetzt. „Natürlich macht es keinen Spaß. In all der Zeit, die ich das jetzt mache, haben wir vielleicht sechs oder sieben Spiele verloren. Dieselbe Anzahl haben wir jetzt im ersten Drittel der Saison. Natürlich geht mir das gegen den Strich und ich komme jeden Abend mit einer Fresse nach Hause. Verlieren ist einfach scheiße. Aber es kommt auf die Art und Weise an. Wenn ich gegen Dassendorf fünf Stück kriege und die sind einfach besser, dann kann ich damit leben. Aber dass ich fünf Stück gegen Wedel oder Osdorf kriege, das spiegelt einfach nicht das wider, was wir glauben, was wir in der Lage sind zu spielen, was wir den Jungs vorgeben und was wir auch erarbeiten. Jedes Training ist extrem detailliert vorbereitet. Dann kommt hier noch einer und sagt: ‚Mein kleiner Zehnagel ist abgebrochen, ich kann acht Wochen nicht trainieren.‘ Du kriegst einen Nackenschlag nach dem anderen.“

"So holen wir bis zum Winter keinen einzigen Punkt mehr"

Packt Karch seine Mannen mit den Aussagen bei der Ehre? Foto: KBS-Picture

Ein weiterer entscheidender Faktor für den missglückten Saisonstart: Die Abgänge. Absolute Leistungsträger, Erfolgs- und Aufstiegsgaranten wie Nikola Zeba, Veli Sulejmani, Mladen Tunjic oder auch Emre Yasar, der inzwischen auch nicht mehr zum Kader gehört, konnten nicht gleichwertig ersetzt werden. Zugegebenermaßen ist es für einen Aufsteiger auch nur schwer möglich, adäquaten Ersatz für solch immens wichtige Akteure zu finden. Aber diejenigen, die in die Rolle schlüpfen sollten, enttäuschten bisher auf ganzer Linie – oder aber fallen verletzungsbedingt lange aus wie Bazier Sharifi. „Wir haben es überhaupt nicht hinbekommen, die Abgänge und die Verletzten zu kompensieren“, gesteht auch der Coach, der dennoch meint: „Wir haben einen Kader von Mitte 20 Mann. Ich könnte jede Woche mit vier Torhütern spielen, weil die immer beim Training sind. Die verstehen auch, worum es geht, wie eine Mannschaft funktioniert und wie man sich den Arsch füreinander aufreißt. Aber ansonsten? Die meisten gehen nach dem Training oder nach dem Spiel direkt nach Hause, ziehen sich um, gehen dann Shisha rauchen, denken, sie sind die geilsten, und erzählen jedem: ‚Ich spiele beim HSV in der Oberliga.“ Denen kann ich ganz klar sagen: Nein, von denen spielt aktuell noch keiner Oberliga!“ Gegen Osdorf wäre „nicht ein einziger Oberligaspieler auf dem Platz“ gewesen, so Karch, „und selbst die Etablierten fallen zurzeit hinten runter. Woran sollen sich die Jungen dann aufrichten?! Die sollen still sein, das machen, was ihnen gesagt wird – und nicht dumm rumsabbeln auf dem Platz. Denn keiner bringt auch nur ansatzweise seine Leistung. Und keiner ist auch nur ansatzweise bereit, gewisse Dinge anzunehmen. Und dann ist es auch keine Frage: So hast du vier Punkte und wirst bis zum Winter keinen einzigen mehr dazu holen, wenn wir so weitermachen!“ Trifft Karch mit seinen Aussagen den Nerv seiner Spieler? Packt er sie bei der Ehre? Und ist es vielleicht der Wachrüttler zur rechten Zeit? Das werden die kommenden Tage und Wochen zeigen…

Autor: Dennis Kormanjos