„Der Amateurfußball erarbeitet sich zurück, was er in den letzten Jahren verloren hat“

12. ODDSET-Talk zum Thema „Fußball gestern und heute – Geht es immer noch in die richtige Richtung? Was ist besser, was schlechter geworden?“

25. Oktober 2016, 16:13 Uhr

Die Moderatoren Dieter Matz (li.) und Carsten Byernetzki (re.) diskutierten mit ihren Gästen Uwe Seeler, Oliver Wurm, Andreas Rettig und Jochen Meinke (v.li.). Foto: Gettschat

Zur zwölften Ausgabe des „ODDSET-Talk“ begrüßten die Moderatoren Dieter Matz und Carsten Byernetzki am Montagabend im Hotel „Le Meridien“ mit HSV-Idol Uwe Seeler, Andreas Rettig (Geschäftsführer FC St. Pauli), Jochen Meinke (Kapitän der HSV-Meistermannschaft von 1960) und dem Sportjournalisten und Medienberater Oliver Wurm vier Gäste, mit denen sie diskutierten, wie sich der Fußball in den zurückliegenden Jahren verändert hat und ob diese Entwicklungen positiv oder negativ zu bewerten sind. 

Meinke über den HSV im Spiel gegen Frankfurt: „Das war der Offenbarungseid einer Trümmertruppe"

Vorher bezogen alle Gäste Stellung zur aktuellen Situation der beiden Hamburger Profi-Clubs. „Das war der Offenbarungseid einer Trümmertruppe", sagte der 86-jährige Meinke über das 0:3 gegen Frankfurt. Seeler sagte: „Die Situation macht mich traurig. Ich kann nicht sagen, wie es weitergehen soll.“ Ihn störte besonders: „Die Spieler können einen schlechten Tag erwischen. Aber was die Zuschauer verlangen können, ist, dass die Spieler kämpfen und so zumindest aufrecht den Platz verlassen.“ Er habe derzeit wenig Hoffnung, aber so Seeler: „Ich besuche auch die Spiele des HSV in der Zweiten Liga.“ 


Mit rheinischem Humor ging Rettig auf den FC St. Pauli ein: „Unsere Situation ist deutlich besser, wir haben mehr als doppelt so viele Punkte wie der HSV.“ Und ernsthafter: „Wir gehen ordentlich mit der Situation um, Trainer und Sportchef managen das sehr gut.“ Oliver Wurm betonte, dass bei der Ausbeute von 2 Punkten nach 8 Spieltagen, die Wahrscheinlichkeit, dem Abstieg noch zu entrinnen nach der Erfahrung aller Bundesligajahre äußerst gering sei.

Seeler: „Die Spieler werden von den vielen Behandlungen vor dem Spiel mehr müde als frisch“

Die Moderatoren und ihre Gäste beleuchteten vor gut 100 Zuhörern anschließend Themen wie die FIFA, die immer höher werdenden Spieleretats, die Professionalisierung oder aber die Rolle von Fußballern in den (sozialen) Medien. Nicht zu kurz kommen durfte dabei auch die Frage der Kommerzialisierung von Vereinen.

Einigkeit herrschte in der Runde darüber, dass sich viele Voraussetzungen im Vergleich zu früher verbessert haben. „Früher waren das ganz andere Zeiten. Wir haben teilweise mit 22 Leuten zusammen unter sechs Duschen geduscht“, erinnerte sich Jochen Meinke, der am Tag vor der Veranstaltung seinen 86. Geburtstag gefeiert hatte. Auch die medizinische Versorgung im Fußball habe sich verbessert, wobei sowohl Seeler als auch Wurm die Ansicht vertraten, dass dies „schon wieder zu viel ist. Die Spieler werden von den vielen Behandlungen vor dem Spiel mehr müde als frisch“, meinte Seeler, während Wurm im Zusammenhang davon sogar von „psychischen Zerrungen“ sprach.

Rettig kritisiert „Stilblüten, die ungesund sind“ im Geschäft der Spielerberater

St. Pauli-Geschäftsführer Andreas Rettig kritisierte im Verlauf des Gesprächsabends derweil, er ein Problem im Überhand nehmenden Auftreten von Spielerberatern sieht, die „erst über ihr Honorar und dann über den Spieler verhandeln.“ In diesem Bereich käme es zu „Stilblüten, die ungesund sind.“

In Bezug auf die starke Kommerzialisierung des Fußballs sei der Amateurfußball, in dem es im Gegensatz zum Profibereich mehr Identifikation und die Möglichkeit gibt, direkt mitzuwirken, wieder im Kommen: „Der Amateurfußball erobert sich das, was er in den letzten Jahren verloren hat, jetzt wieder zurück“, so Sportjournalist Wurm.