Oberliga 01

„Dass wir nach den ersten 60 Minuten die Chance auf einen Punkt hatten, ist die eigentliche Sensation des Tages“

30. Oktober 2021, 17:41 Uhr

Ein Tor, eine Vorlage: Len Aike Strömer - hier im Duell mit Witalij Wilhelm - hatte maßgeblichen Anteil am Dassendorfer Erfolg. Foto: Bode

Mit vehementer Körpersprache eilte er auf den Assistenten zu und monierte lautstark „ein glasklares Handspiel“. Dassendorf-Sportchef Jan Schönteich war außer sich, dass der Pfiff von Referee Daniel Gawron nicht ertönte – und darüber, dass es „hier 9:0 stehen muss“. In eine ähnliche Kerbe sprang TuS-Trainer Jean-Pierre Richter, der mit angespannter, aber ruhiger Miene konstatierte: „Statt 6:0 steht es hier 2:1“, zeigte er sich angesichts des schier unglaublichen Chancenwuchers seiner Elf fassungslos (alle Highlights im LIVE-Ticker). Aber eben auch, dass die Gäste aus dem Nichts zurück waren und für eine dramatische Schlussphase sorgten...

Ein konsternierter Mark Hinze (li.), ein jubelnder Sven Möller (Mi.) nach seinem Führungstreffer mit Amando Aust. Foto: Bode

Der Grund für Schönteichs Explosion: Corvin Behrens‘ etwas verunglückte Ballannahme – mit der Hand – landete im Rückraum bei Hamed Mokhlis. Dessen 22-Meter-Pfund ließ Christian Gruhne nicht allzu gut aussehen und schlug im rechten unteren Toreck ein (69.). Urplötzlich war Curslack zurück in einem bis dato einseitigen Derby. Einem Spiel, in dem Dassendorf die Wut aus der Vorwoche nach den ersten Punktverlusten in Lohbrügge (1:1) lange Zeit am Gegner ausließ. Einziges Manko: Der schier unfassbare Chancenwucher! Selbst nach dem Anschluss der Gäste, als der eingewechselte Kristof Kurczynski freistehend nach wunderbarer Stafette über Sven Möller und Henrik Dettmann am langen Eck vorbei chippte (78.) oder auch Amando Aust nach Vorarbeit von Dennis Bergmann äußerst kläglich verstolperte (90. +2).

Mokhlis verpasst riesige Ausgleichschance

Curslack-Angreifer Bajram Nebija (li.) sah gegen Maximilian Ahlschwede und Co gar keinen Stich. Foto: Bode

Und so ergab sich tatsächlich die Riesenchance für die Woike-Equipe zum Ausgleich, als Mokhlis auf und davon war, Gruhne per Heber überwand – aber Maximilian Ahlschwede im Zurückeilen den Einschlag verhinderte (80.). In Unterzahl – Mark Hinze sah nach einem Einsteigen gegen Bergmann die Ampelkarte (83.) – war es dann Behrens, dessen Freistoß nach vorangegangenem Foul an Pascal El-Nemr die Latte küsste (87.). Zu diesem Zeitpunkt war auch „Dassendorf-Schreck“ Sebastian Spiewak schon auf dem Grün. Sieben Minuten vor Ultimo rief Woike seinen Innenverteidiger heran. Aber: „Ich glaube, er hat das erste Mal seit 1984 kein Tor hier geschossen. Den haben wir heute sehr gut kontrolliert“, witzelte Schönteich auf der anschließenden Pressekonferenz.

"Man hatte ja schon gedacht, in Dassendorf gehen die Lichter aus"

Die Chance vor der Pause zum Anschluss: Pascal El-Nemr (li.) trifft nach feinem Solo aber nur die Latte. Foto: Bode

Und als nach gut fünfminütiger Nachspielzeit der Schlusspfiff von Schiri Gawron ertönte, führte der Weg des TuS-Sportchefs sofort zum Assistenten. Schnell wurde der kurze Disput aus der Welt geschafft und Schönteich huschte nach einigen bangen Momenten doch noch ein Lächeln durchs Gesicht. Denn schlussendlich brachte der Primus den knappen Vorsprung über die Zeit. Doch auch SVCN-Coach Christian Woike erkannte mit leicht ironischem Unterton: „Ich habe lange Zeit die Mannschaft, die nach einem Unentschieden zuletzt komplett in der Krise steckt, gesucht. Man hatte ja schon gedacht, in Dassendorf gehen bald die Lichter ganz aus, wenn man das Umfeld gehört hat, und der Verein steht kurz vor der Abmeldung. Aber in der ersten Halbzeit habt ihr uns mal kurz gezeigt, wie es ist, wenn man vernünftig Fußball spielt.“

Harnik-Ersatz "Mölli" knipst

Top-Torjäger Martin Harnik (re.) kam angeschlagen nicht zum Einsatz und nahm nur auf der Bank der Dassendorfer Platz. Foto: Bode

Nicht nur das. „Das war keine gute Leistung von uns, aber eine sehr gute von Dassendorf“, so Woike. Und das, obwohl die Hausherren auf den angeschlagenen Martin Harnik, der die ganze Woche über nicht trainieren konnte und auf der Bank Platz nahm, verzichten mussten. Seinen Platz im Sturm der „Wendelwegler“ nahm Sven Möller ein. Ein Schachzug, der sich schnell auszahlte. Gänzlich unbedrängt durfte „Mölli“ nach 20 Zeigerumdrehungen eine Flanke von Len Aike Strömer einschädeln (20.). Per Kopf war der Vorlagengeber wenig später selbst zur Stelle, als Henrik Dettmann von der rechten Grundlinie butterweich auf den zweiten Pfosten flankte – und Strömer ebenfalls keinerlei Gegenwehr verspürte (29.).

"Unsere Verteidiger spielen da Schnick, Schnack Schnuck"

Eben jener Umstand brachte Woike auf die Palme: „Beide Male ist das im ‚Fünfer‘, beide Male gibt’s keine Gegenwehr“, echauffierte er sich – und bezeichnete das 0:1 als „symptomatisch für unsere erste Halbzeit“. Grund: „Der Ball trudelt zur Eckfahne, in der Mitte spielen drei Mann von uns ‚Schnick, Schnack, Schnuck‘, so dass Strömer den Ball einfach holen, flanken und ‚Mölli‘ in der Mitte ohne Gegenwehr einköpfen kann. Allein der letzte Teilsatz ist schon eine Katastrophe. Damit kann ich nur schwer umgehen!“

"Dassendorf hat uns am Leben gelassen"

Die dicke Gelegenheit zum 2:2: Hamed Mokhlis (re.) überlupft Gruhne, aber der zurückeilende Ahlschwede rettet vor der Linie. Foto: Bode

Sowohl vor dem 2:0 als auch danach versemmelte der Spitzenreiter diverse Großchancen – und auf einmal war El-Nemr auf der anderen Seite durch, beförderte die Kugel aber ans Lattenkreuz (41.). „Nicht nur vor, sondern auch in der ersten Viertelstunde nach der Pause lässt uns Dassendorf weiter am Leben“, befand Woike. „Wenn da das Dritte fällt, ganz vorsichtig gesagt, dann dürfen wir uns nicht beschweren“, gestand der Curslack-Coach, dessen Mannen aus dem totalen Nichts zurückkamen und nach einem Vergehen von Kerim Carolus gegen Mokhlis womöglich sogar noch einen Strafstoß hätten bekommen können (73.). Es folgte „das zweite Geschenk, nachdem wir schon im Spiel gehalten worden sind, das wir auch noch hätten annehmen dürfen“, sprach Woike auf den Hochkaräter von Mokhlis an.

"Er entscheidet sich für den Himalaya-Ball, anstatt den reinzuorgeln"

Verzweifelte Miene bei Mokhlis (re.) nach seiner vergebenen Großchance zum 2:2. Foto: Bode

„Stattdessen entscheidet er sich für einen Himalaya-Ball, anstatt den einfach unten rechts reinzuorgeln. Bis dahin haben wir alle Geschenke, die wir bekommen haben, angenommen.“ In jener Situation jedoch nicht. „Wir hätten die Chance gehabt, einen Punkt mitzunehmen. Und das ist nach diesen ersten 60 Minuten die eigentliche Sensation des Tages! Schade, dass wir nicht in der Lage waren, alle Geschenke anzunehmen“, bilanzierte er. Während Richter über weite Strecken vollauf zufrieden mit seiner Truppe war: „Ich glaube, dass unser Matchplan heute voll gematched hat. Wir waren taktisch unglaublich gut auf den Gegner eingestellt, gezielt, engagiert und konsequent im Pressing, haben klar dominiert und waren auch sehr passsicher.“

"Vom Ergebnis her unglaublich eng - aber eigentlich ein ganz klares Fußballspiel"

Heißer Zweikampf: Sebastiao Mankumbani (li.) fliegt im Duell mit Amando Aust spektakulär durch die Luft. Foto: Bode

Mit einer einzigen Aktion kippte das Geschehen am Wendelweg vor 364 Besuchern aber beinahe komplett. „Unterm Strich muss man ganz klar sagen: Es war vom Ergebnis her unglaublich eng und für die Zuschauer hintenraus mega spannend – aber es war ein ganz, ganz klares Fußballspiel. Wir hätten sehr vielen Chancen hinterher weinen müssen, wenn wir das Spiel nicht gewonnen hätten. Wir haben es einfach versäumt, die Vielzahl an Chancen zu nutzen. So haben wir die Tür nochmal aufgemacht.“ Und am Ende wurde man „unsauber, inkonsequent“ und war „nicht mehr ganz so fleißig. Es hat nicht mehr alles so gegriffen, wie über ganz weite Strecken des Spiels.“ Doch die „ganz weiten Strecken des Spiels“ waren so gut, dass es zum überaus hochverdienten Heimerfolg reichte – auch wenn die „JPR“-Boys am Ende nochmal zittern mussten…

Autor: Dennis Kormanjos