Das kleine Lebenswerk Altona 93

Zu Besuch bei AFC-Präsident Dirk Barthel

18. März 2015, 04:03 Uhr

Dirk Barthel (M.) bei einem AFC-Heimspiel. Foto: noveski.com

Hamburg Altona, April 1988. Die Sonne scheint durch die Schornsteine der umliegenden Fabrikgebäude in eine der ältesten Sportstätten Deutschlands und bringt den frisch gewässerten Rasen zum glänzen. Perfekte Bedingungen für die Oberliga-Nord-Partie zwischen dem Altonaer FC und Holstein Kiel. Ansonsten gehört der Glanz des 1909 erbauten Stadions jedoch längst der Vergangenheit an.

Weit zurück liegen die Tage, als hier vor 27.000 Zuschauern gegen den HSV gespielt wurde. Vorbei ist die Zeit der Hamburger Meisterschaften, die Zeit der Erstligazugehörigkeit, die Zeit, in der Dieter Seeler oder Adolf Jäger an der Griegstraße auf Torejagd gingen.

Wenn an diesem Nachmittag im April Holstein Kiel zu Gast ist, ruht die Legende der Adolf-Jäger-Kampfbahn. Es geht um nichts, Kiels Aufstiegschancen sind passé, sie werden später Fünfter, Altona ist die größten Abstiegssorgen los, sie beenden die Saison als Elfter.

Dennoch lockt die Partie 1200 Zuschauer auf die AJK. Unter ihnen ein junger Mann, der gerade erst von seinem Maschinenbau-Studium in Hamburgs Westen zurückgekehrt ist. Als Kind war er mit seinem Vater häufig im Stadion, hatte in der Jugend sogar selbst einige Male das Schwarz-Weiß-Rote Trikot übergestreift. Was ihn nach langen Jahren der Abstinenz plötzlich wieder in die Griegstraße trieb, kann er heute nicht mehr sagen. Der Glanz der Kampfbahn mag vergangen sein, ihre Anziehungskraft aber ist ungebrochen. Das Ergebnis des Spiels, sicher in irgendwelchen Annalen vermerkt, interessiert heute niemanden mehr. Dennoch war diese Begegnung gegen Holstein Kiel eine schicksalsträchtige, denn sie lenkte die Zukunft des Vereins von 1893 auf die Gleise, die er noch heute befährt.

Plötzlich Trikotsponsor

Denn dieser junge Mann war Dirk Barthel, Sohn des lebenslangen Altona-Anhängers und Firmengründers Fritz Barthel und heutiger Präsident des Vereins. Als Kind wuchs er keine 15 Gehminuten vom Stadion entfernt auf. Der Weg zur AJK führte ihn durch ein Altona, dessen Bild bis in die 90er Jahre von Industrie geprägt ist. Während der Stadtteil noch mit den Nachwehen des Krieges zu kämpfen hatte und Bewohner in Notunterkünften hausten, erlebte A93 seine goldenen Jahre. Eine Mischung aus Fußball- und Industrieromantik, an die sich Barthel im April '88 erinnert haben muss. Denn als ihn nach dem Spiel sein Freund Bodo Ziesenhenne, damals zweiter Vorsitzender, auf die Pressekonferenz einlädt und er dort erfährt, dass Trikotsponsor Edeka seit Jahren kein Geld mehr zahlt, erklärt er sich sofort bereit, einzuspringen. Seitdem ziert der Schriftzug „Barthel Armaturen“ die Leibchen der Altona-Akteure.

„Davon war ich ganz angetan“, erzählt Barthel heute. Seine Erinnerungen drehen sich mehr um das Erlebnis Fußball als um den Sport: „Es ist immer wieder schön, wenn am Sonntagnachmittag viele Zuschauer da sind, auch Familien mit Kindern. Unsere Fans sind sensationell, das ist Stadionatmosphäre, anderswo wirkt es oft wie Schulsport.“ Die Geschichte des Clubs ließe sich tatsächlich nicht ohne seine legendäre Kampfbahn erzählen. Sie symbolisiert die Faszination Altona 93, gleichzeitig aber seine Rückständigkeit, ist inzwischen ein Anker: Alt, marode, nicht regionalligatauglich. Als man sich 2008 für das Risiko Aufstieg entschied, musste man seine Heimspiele beim Rivalen Vicky an der Hoheluft austragen. „Eine unsägliche Saison mit finanziellem Chaos“, sagt Barthel über den einjährigen Ausflug. Ob er trotzdem noch einmal den Aufstieg in Angriff nehmen wolle? „Natürlich!“

Barthels Blick geht in die Zukunft

Das merkt man: Während ich nach der Vergangenheit frage, kommt Barthel immer wieder auf die Zukunft zu sprechen. Der suchende, ins Leere gehende Blick der Erinnerung weicht schnell wieder dem zielgerichteten Ausblick auf Künftiges. Nach vorne gelehnt spricht er über die zerfallende Kampfbahn. Ein Jammer sei es zwar, aber Handeln nötig. Man müsse mit der Zeit gehen; hoffe auf baldige Einigung über eine neue Bleibe. Sie müsse „heimelig“ sein, dann werde man sich schon an eine neue Spielstätte gewöhnen. Er spricht er über die Rahmenbedingungen für erfolgreichen Amateurfußball. Vicky habe ihnen den Rang abgelaufen, auch Norderstedt sei nachhaltig aufgestellt. Diese Nachhaltigkeit, muss Barthel zugeben, sei Altona bisher nicht geglückt. Das soll sich ändern. Einst war Altona 93 sein Halbtagsjob, nun verbringe er nur noch 15 Prozent seiner Zeit am Büroschreibtisch mit dem Club. „Wir haben einen guten Stab“, lautet die Begründung. Barthel arbeitet daran, seinen Verein für die Zukunft aufzustellen. Seine Baustellen heißen Stadion, Vereinsstruktur, Werbepartner, Finanzen. Die sportliche Lage ist das Tagesgeschäft Anderer. „Ich weiß nicht, warum es nicht läuft, die Trainer arbeiten sehr akribisch.“ Vorbei sind die Zeiten, als es in seinem Büro zu Streitereien mit Trainer Prohn und Kapitän Berkan Algan kam.

Vorbereitung auf ein Ende der Ära

Der AFC setzt heute auf Vernunft und Bodenständigkeit. Das war nicht immer so. Aufgrund von Unregelmäßigkeiten beim Finanzamt erhielt man 2009 keine Lizenz für die Regionalliga. Daraus hat man gelernt. „Wir machen nur das, was wir auch finanziell können“, betont Barthel, der in der Vergangenheit durchaus andere Ideen hatte: „Mit einigen Mäzenen fiel am Biertisch der Vorschlag: ‚Wir verlassen jetzt unsere Vereine und machen einen Verein groß!' Das sollte Altona sein, aber das waren nur Lippenbekenntnisse.“ Auch vor kreativen Ideen zur Finanzierung schreckte er nicht zurück: „Es war eine Doku-Soap geplant, aber dann hat der Initiator keinen Sender gefunden.“ Doch von derlei Luftschlössern hat man inzwischen Abstand genommen, denn sie hätten auch immer einen Abtritt von Autonomie zur Folge.

Stattdessen will man den Verein auf mehrere Standbeine stellen. Werbepartner, Merchandising und Nachwuchsarbeit sollen in die Fußstapfen der Geldgeber treten. Auch in Altona wird es eine Zeit nach Dirk Barthel geben, so wie es eine Zeit nach der Adolf-Jäger-Kampfbahn geben wird. Doch auch wenn seine Präsidentschaftsperiode im Dezember ausläuft, ist das noch etwas hin: „Solange man gesund ist und sich kein Anderer aufdrängt würde ich sagen, mache ich die nächsten zwei Jahre noch weiter. Mindestens.“ Ob er sich darüber hinaus Gedanken mache, wie es nach seiner Ära weitergehe? „Andere machen sich Gedanken“, lächelt er verschmitzt. Denn mit dieser Ära hat er noch längst nicht abgeschlossen. Auf die ein oder andere Weise wird er Altona vermutlich immer erhalten bleiben, und sei es nur um hinter dem Tor des Gegners den Ball reinzugucken. Immerhin, sagt er zum Abschluss, sei Altona 93 für ihn „schon ein kleines Lebenswerk.“

Text: Christoph Holzenkamp