„Danke, Jonny!“ – „Sechs Jahre Gänsehaut“ enden mit „Sixpack“!

Schützenfest bei Richters Abschiedsspiel gegen Türkiye

21. Mai 2016, 01:08 Uhr

Mit einem zehn Meter langen Banner betrat das Team vom FCS das Spielfeld und bedankte sich bei seinem Trainer für "6 Jahre Gänsehaut"!. Foto: Ingo Brussolo!

„Während des Spiels musste ich ein paar Sekunden mit den Tränen kämpfen“, gab ein mit den Emotionen um die Wette laufender FCS-Trainer Jean-Pierre Richter, der mit dem „Banner und der ganzen Mühe“ nicht gerechnet hatte, zu. Denn das Aufeinandertreffen zwischen dem FC Süderelbe und dem FC Türkiye war nicht nur ein Derby im letzten Saisonspiel, sondern auch das Abschiedsspiel des 29-Jährigen, der den „Kiesbarglern“ nach sechs Jahren überaus erfolgreicher Zeit nun den Rücken kehrt. Und genau aus diesem Grund war die Marschroute seines Teams vom Anpfiff an klar: „Ein letzter Sieg für Jonny!“

Foto: Ingo Brussolo!

Doch bevor es zum letzten Aufgalopp des Richter-Ensembles kam, wurden neben dem scheidenden Coach auch zahlreiche Spieler verabschiedet. So startete die Partie, in der die Hausherren die Initiative übernahmen, mit einer zehnminütigen Verspätung. Während das Auftreten der Gäste, bei denen sich Coach Matthias Stuhlmacher ebenfalls zurückziehen wird, vor allem durch einige Fehlpässe geprägt war und „Stuhle“ mehrfach seinen Spielern zurief, dass diese „die Bälle nach Ballgewinn in den eigenen Reihen behalten sollen“, kam der Tabellenvierte dreimal durch Louca (4./15./18.) zu ersten Torabschlüssen. Aller guten Dinge sind vier, denn wenig später, in der 22. Spielminute, gingen die Gastgeber verdientermaßen in Führung! Türkiye-Akteur Devran Barlak ging auf der rechten Außenbahn nicht konsequent genug in den Zweikampf, sodass Dennis Bergmann an den Ball kam, in den Strafraum eindrang und von der Grundlinie in die Mitte querlegte. Dort lauerte Ernesto Keisef, der aus vier Metern nur noch einschieben musste!

Verdiente Führung und zurückgepfiffenes 2:0

Foto: Ingo Brussolo!

Nach dem umjubelten Führungstreffer und direkt nach dem Anstoß kam nun auch das Team von der Georg-Wilhelms-Straße das erste Mal vor das gegnerische Tor – und wie! Ein langer Ball flog von der Mittellinie über die Hintermannschaft des FCS, landete bei Erdinc Güner, der alleine auf Schlussmann Lohmann zulief, doch den Lupfer über das Tor setzte (23.). Zehn Minuten später kam es wiederum auf der gegenüberliegenden Seite zur nächsten Chance: Nach einem Freistoß durch Dennis Bergmann kam Türkiye-Keeper Braun gerade noch mit den Fingerspitzen an den Ball, wehrte diesen an die Latte ab, von wo aus er ins Toraus flog (34.). Nur drei Zeigerumdrehungen vergingen, da fiel das 2:0 – wäre die Fahne des Linienrichters nicht oben gewesen! Louca spielte den Ball auf die rechte Außenbahn, wo Kohpeiß in den Sechzehnmeterraum zog, in die Mitte passte und Keisef aus 14 Metern ins leere Tor einschob – zuvor allerdings im Abseits stand (37.).

Türkiye erarbeitet sich Chancen, nutzt diese allerdings nicht

„Nun müsst ihr mal einen machen vorne!“, forderte Türkiye-Coach Matthias Stuhlmacher von seinem Team und sah, dass seine Jungs sich zwar vermehrt in der gegnerischen Hälfte aufhielten, aber mehrere Chancen liegenließen. So beispielsweise Güner, der nach Vorarbeit von Özkan aus 16 Metern frei zum Schuss kam, jedoch zu zentral zielte, sodass Süderelbe-Schlussmann Lohmann wenig Probleme hatte, den Ball festzuhalten (43.). Trifft der Gast nicht selbst, kommt dieser vielleicht durch ein Eigentor zum Ausgleich. Gökhan Iscan verlagerte das Spiel auf die Außen, wo Kocin die Flanke in den Strafraum schlug, Mirco Bergmann per Kopf klären wollte, allerdings das Leder auf das eigene Tor zusteuerte und so seinen eigenen Schlussmann auf die Probe stellte, der den Ball mit einem starken Reflex gerade noch über die Latte lenken konnte (46.).

Erfolgscoach Jean-Pierre-Richter (M.) wird von Joachim Stoltzenberg (l.) und Matthias Nehls verabschiedet. Foto: Ingo Brussolo!

Nachdem Kocin in der ersten Halbzeit einige Chancen vergab, war dies auch Thema bei der Halbzeitansprache des Gastgebers: „Er hatte einfach zu viele Chancen. Das war schon mehr betteln, als alles andere“, so Richter, der die Wilhelmsburger im ersten Durchgang als „nicht viel schlechter“ ansah. 

Doch womöglich gab es auch bei der anderen Kabinenansprache nebenan deutliche Worte, denn was die 417 Zuschauer am Kiesbarg in Durchgang zwei sahen, hatte mit den ersten 45 Minuten wenig gemeinsam. Nun war es nämlich die Stuhlmacher-Elf, die das Heft in die Hand nahm, den Gegner früh unter Druck setzte und innerhalb von 15 Minuten, durch Iscan (53./56.) und Kocin (61./62.) zu insgesamt vier Torschüssen kam! Und auch eine hundertprozentige Chance durch Emre Özkan, der komplett alleine auf den Torwart zusteuerte, blieb ungenutzt, sodass Stuhlmacher an der Seitenlinie komplett verzweifelte (64.). „In der zweiten Halbzeit haben wir eine Viertelstunde gar nicht mehr den Weg nach vorne gefunden“, konstatierte der scheidende Richter.

Türkiye nutzt die Chancen nicht - Süderelbe bestraft dies einskalt

Foto: Ingo Brussolo!

Wie es aber so oft ist: Nutzt man seine Chancen nicht, rächt es sich irgendwann. So auch in diesem Fall! Nachdem die Rot-Weißen ihre Hundertprozentige leichtfertig versiebten, bestrafte dies der FCS in Person von Mirco Bergmann. Mit einer direkt verwandelten Ecke von der rechten Seite baute der 24-Jährige die Führung für sein Team aus und ließ die Türkiye-Anhänger kopfschüttelnd verzweifeln (67.)! „Das 2:0 war schon absolut unverdient und Glück im Unglück“, gestand Richter nach dem Spiel. Denn hatte er sein Team nicht erst in der Halbzeitpause über die spielerische Klasse eines Umut Kocin informiert, war es genau jener, der seine Farben zurück ins Spiel schoss und nach dem Motto „Bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt“ das Leder aus 25 Metern in der rechten Ecke einschlagen ließ (70.)! „Meine Mannschaft hat mir wohl nicht geglaubt, dass Kocin so einiges drauf hat“, musste Richter etwas schmunzeln und fügte an: „Vielleicht war das nochmal ein Wachrüttler, denn anschließend haben sie es verstanden, den Fußball zu spielen, der uns technisch und vom Tempo her auszeichnet.“ Vom Anschlusstreffer wenig beeindruckt, spielten die Hausherren nun also ihren bekannt starken Offensivfußball. Lediglich fünf Minuten später nahm Dennis Bergmann den Wilhelmsburgern dann auch jegliche Hoffnung. Während ein Gästespieler verletzungsbedingt am Seitenaus stand und wartete, dass er das Spielfeld wieder betreten darf, war Bergmann zur Stelle und vollendete im Eins-gegen-Eins gegen Torwart Braun zum 3:1 (75.)!

Nach dem Torerfolg hieß es: "Alle Mann zu Jonny." Foto: Ingo Brussolo!

Nun richtig in Spielfluss gekommen, konnten die Gäste nur noch mit ansehen, wie das junge Team vom Kiesbarg sein „eigentliches Gesicht“ zeigte und innerhalb von sechs Minuten das halbe Dutzend voll machte! Den Anfang des „Dreifach-Schlags“ machte erneut Dennis Bergmann, der nach einem schönen Spielzug zum 4:1 vollenden konnte (84.) und nicht nur beim Torabschluss sein Können zeigte, sondern auch wenig später beim Torjubel: Ein Radschlag kombiniert mit einem Rückwärtssalto, ließ den Zuschauern die Kinnlade herunterfallen. „Dennis schießt die ganze Saison keine Tore, bereitet 20 vor und heute glänzt er dann mit zwei wichtigen Toren“, lobte ihn sein Trainer für seine enorm starke Leistung.

Den zweiten Treffer des dreifachen Nackenschlags für Türkiye machte der eingewechselte Tolga Tüter, der das fünfte Mal an diesem Abend zum kollektiven Torjubel einlud und zuvor den gegnerischen Torwart in die falsche Ecke verlagerte (88.). Abschließend war es erneut Tüter, der quasi mit dem Abpfiff seinen Doppelpack schnürrte, im ersten Anlauf zwar an der Latte scheiterte, doch im Nachschuss per Seitfallzieher vollendete (91.)!

„Jeder Spieler, egal ob er geht oder bleibt, hatte einen Riesen Rucksack zu tragen“

Foto: Ingo Brussolo!

„Heute hatte jeder Spieler, egal, ob er geht oder bleibt, einen riesen Rucksack zu tragen“, merkte Richter an und sah deshalb auch „teilweise eine verkrampfte Mannschaft, die es allgemein verpasst hat, ihre Stärken durch ein schnelles Umschaltspiel auszuspielen“. Des Weiteren sah der Erfolgscoach, der vor sechs Jahren ein komplett neues Team aufbaute, den Landesligaabstieg abwehrte und mit jahrelangem Engagement die Mannschaft bis ins Oberhaus führte, viel „Trägheit, Müdigkeit und eine Menge Ballast, weswegen es nun gut ist, dass es vorbei ist“.

Foto: Ingo Brussolo!

Abschließend gab der sympathische Richter aber auch zu, dass er über den deutlichen Ausgang der Partie total überrascht sei, da er auf „ein 3:1“ getippt habe und stellte noch einmal heraus, welch unglaubliche Saison seine Jungs gespielt haben: „Der vierte Platz ist Wahnsinn, das hätte ich nicht gedacht“, so ein begeisterter Coach.

Platz vier, das beste Süd-Team und die 60-Punkte-Marke geknackt, dazu die beste Offensive und zweitbeste Defensive der Liga und zusätzlich noch 50Prozent mehr Punkte als in der Vorsaison eingefahren. Zahlen, die einen nicht nur ein wenig sprachlos machen, sondern auch das Talent dieses Teams aufzeigt. Schade also, dass es diese Konstellation von talentierten Kickern und einem aufstrebenden Trainer-Juwel in Zukunft nicht mehr zusammen geben wird. Aber wenigstens das letzte, gemeinsame Ziel wurde erreicht: Ein Sieg für Jonny!

Der komplette LIVE-Ticker zum Spiel!

Autor: Daniel Meyer