„Wir sind schockiert, wie machtlos man dem Staatsapparat gegenübersteht“

Spieler abgeschoben: Große Betroffenheit bei Weiss-Blau 63

07. März 2018, 17:21 Uhr

Foto: Mathias Merk

„Wir sind zutiefst betroffen, dass ein Mitglied unserer Gemeinschaft, ein Mensch wie jeder andere von uns, welcher seit über neun Jahren hier gelebt hat, von einem Tag auf den anderen aus seinem sozialen Gefüge, seiner neuen Heimat, gerissen wurde. Wir sind schockiert, wie machtlos man dem Staatsapparat in solch einer Situation gegenübersteht. So etwas darf in einem Staat, der sich Rechtsstaat schimpft, nicht passieren“, finden die Verantwortlichen von Weiss-Blau Groß Borstel 1963 auf ihrer „facebook“-Präsenz deutliche Worte. Der Grund für den Unmut: Spieler Abdelaal M. A. wurde am Mittwochmorgen abgeschoben.

„Wir mussten leider erfahren, dass unser Mitspieler Abdel soeben verhaftet wurde und in Abschiebehaft sitzt“, brachten die Offiziellen des Kreisligisten ihre Fassungslosigkeit über die Vorkommnisse am Dienstag zum Ausdruck. „Wir warten noch auf weitere Infos, wissen aber, dass der Staat wohl versucht, ihn innerhalb der nächsten 24 Stunden abzuschieben.“ Mannschaftsmitglieder und Freunde von Abdel fanden sich am Abend vor dem Abschiebegefängnis ein, „um ihre Solidarität zu bekunden“, wie es heißt. „Eine Möglichkeit, Abdel zu sehen oder die Anlage zu betreten, wurde uns leider verwehrt. Stattdessen kriegten wir Besuch von mehreren Streifenwagen der Polizei und wurden misstrauisch beäugt.“ Und weiter: „Die Anwältin, die Betreuer und der Verein tun momentan alles in ihrer Macht stehende, um den Abschiebevorgang zu verzögern und hoffentlich zu verhindern.“

Alle Bemühungen, Abdel in Deutschland und bei seinen Freunden in der Hansestadt zu halten, wurden jedoch jäh zunichte gemacht. „Die Polizei hat Abdel nachts nach Frankfurt gebracht, von wo er um 9:30 Uhr abgeschoben werden soll. Dies lässt sich mit viel Glück nur noch über den Anwalt verhindern, welchem wir nun ganz viel Erfolg wünschen.“ Nur wenig später vermeldete der Verein die traurige Gewissheit: „Wie es momentan aussieht, wurde Abdel um 9:20 Uhr Ortszeit vom Flughafen Frankfurt abgeschoben. Kurz nach 9 Uhr war Abdel nicht mehr zu erreichen gewesen, die Bemühungen der Anwälte waren scheinbar vergebens. Wir hoffen, dass wir nach Ankunft Kontakt zu ihm aufnehmen können, um ihm irgendwie Unterstützung zukommen zu lassen.“

Mittlerweile erreichte uns eine "persönliche Erklärung von Serkan Bicen", einem sehr guten und engen Freund von Abdel, zum Vorfall der Abschiebung:

"Am Dienstag, den 06.03.2018 wurde ich zum Zeugen, wie die Hamburger Ausländerbehörde in einer kuriosen Art und Weise einen jungen Erwachsenen in das Heimatland abgeschoben hat. Zum Verlauf: Eine gute Bekannte benachrichtige mich, dass die o. g. Person sie angerufen hat und ihr mitteilte, dass sie soeben von der Hamburger Polizei in der Ausländerbehörde aufgegriffen wurde und abgeschoben werden soll. Dieser Anruf passierte circa um 14:30 Uhr. Die o. g. Person besuchte die Bekannte und mich am 05.03.2018 morgens, bevor sie an dem genannten Tag einen Termin zur Duldungsverlängerung bei der Ausländerbehörde hatte. Nach dem Besuch in der Ausländerbehörde kam er zurück, um uns über den Termin zu berichten. Wir mussten feststellen, dass der Termin zur Verlängerung der Duldung seitens der Ausländerbehörde abgesagt wurde, somit wurde die Duldungsverlängerung an dem Tag nicht vollzogen. Des Weiteren teilten ihm die Sachbearbeiter der Ausländerbehörde mit, dass er am Folgetag am 06.03.2018 in der Ausländerbehörde erneut erscheinen soll.

Die o. g. Person erschien zu dem erteilten Termin pünktlich in der Hamburger Ausländerbehörde. Dort wurde er mit Abschiebungspapieren von der Hamburger Polizei in Empfang genommen. Als endgültigen Grund für die Abschiebung wurde das zu späte Erscheinen seiner Duldungsverlängerung, das die Ausländerbehörde veranlasst hat, genannt. Die Ausländerbehörde hat somit diesen Grund selbst initiiert, da die o. g. Person fristgemäß einen Tag vorher erschien, jedoch weggeschickt und auf den nächsten Tag verlegt wurde. Nach einem Informationsaustausch zwischen den Polizeibeamten und der o. g. Person gelangte diese direkt in die Abschiebehaft am Dammtor. Die inhaftierte Person benachrichtigte meine Bekannte umgehend. Nach einem weiteren Anruf der inhaftierten Person gegen 17:30 Uhr bekamen wir die Information, dass sich die o. g. Person inzwischen in der Abschiebehaft am Hamburger Flughafen befindet. Die Adresse konnte der junge Mann uns nicht mitteilen. Seit der Information über die erste Abschiebehaft, stellten meine Bekannte und ich umgehend eine Online-Eingabe/Petition bei der Hamburger Bürgerschaft. Ich kontaktierte eine bekannte Anwältin, die sich direkt ehrenamtlich mit der Situation des jungen Ausländers auseinandersetzte und ihre Hilfe anbot.

"Wir wurden herablassend angesprochen"

Wir trafen uns um 19:10 Uhr am Hamburger Flughafen, um die Abschiebung der o. g. Person verhindern zu können. Beim Ankommen am Flughafen informierten wir uns umgehend über den genauen Standort der Haft bei den zuständigen Polizeibeamten. Auf Nachfragen kamen lediglich spärliche und herablassende Kommentare. Niemand weiß, wo sich die o. g. Person bzw. der Ort der Haft befindet – so die Beamten. Auf den Hinweis der Anwältin, dass der o. g. Person ein Rechtsbeistand zusteht, bekamen wir wiederrum erneutes Schweigen. Daraufhin bekamen wir einen Anruf des Fußballtrainers der o. g. Person, der den Aufenthaltsort kannte und uns diesen eröffnete. Wir fuhren zu dem uns nun bekannten Ort, um uns mit dem Fußballtrainer zu treffen. Bei unserer Ankunft stellten wir fest, dass die Polizeibeamten der Unterkunft vom Hamburger Flughafen bereits auf uns eingestellt waren und uns somit erwarteten, da sie im Vorwege von ihren Kollegen am Flughafen von unserer Anwesenheit und dem zugehörigen Anliegen informiert wurden. Vor Ort empfingen uns Mitarbeiter der Ausländerbehörde, der Polizei Hamburg, sowie weiteren Personen in zivil, die uns herablassend ansprachen. Beispiel dafür: Finger zeigen der Personen in zivil auf meine Bekannte und Aussage: „Wer ist die denn?“ Und zu mir: „Wer bist du?“ Nach ausweisen der Anwältin bekam sie Eintritt in das Objekt der Abschiebehaft. Sie durfte einige Zeit mit ihrem Klienten verbringen, um Weiteres mit ihm abzusprechen. Die Anwältin zeigte uns ein Schreiben vom Amtsgericht, auf dem der Beschluss der Abschiebung festgestellt wurde, der um 15:10 Uhr beschlossen wurde. Somit war es kaum bis gar nicht möglich, rechtzeitig rechtliche Wege gegen die Abschiebung einzuleiten. Ausschlaggebender Grund für die Abschiebung war das zu späte Erscheinen zur Duldungsverlängerung, das die Ausländerbehörde selbst initiierte. (s. o.)

"Wir erfuhren lediglich, dass die bevorstehende Abschiebung nicht zu unterbinden ist"

Der Anwalt der o. g. Person erkundigte sich am Freitag, den 02.03.2018 bei dem zuständigen Sachbearbeiter der Behörde um eine mögliche Abschiebung. Diese wurde jedoch verneint! Die Anwältin konnte dem Mitarbeiter der Ausländerbehörde die Eingabe/ Petition direkt bei Eintreffen des Ortes am 06.03.2018 vorlegen, es wurde allerdings ignoriert. Durch das Gespräch mit der Anwältin erfuhren wir lediglich, dass die bevorstehende Abschiebung nicht zu unterbinden ist. Aus welcher Stadt, zu welcher Uhrzeit und in welchem Rahmen die Abschiebung erfolgen wird, wollte niemand von der Ausländerbehörde mitteilen. Durch eine Nachricht der o. g. Person an den Fußballtrainer, der diese Information in einem Facebook-Post veröffentlichte, erfuhren alle Mitfühlenden und Beteiligten den neuen Standort des jungen Mannes: Er wurde eine Stunde nach unserer Anwesenheit in der Haft nach Frankfurt verlegt. Von dort aus wurde er heute, am 07.03.2018 um 09:20 Uhr, mit einer Flugmaschine des Germania-Unternehmens nach Kairo überführt. Den Abflug der Maschine konnte man durch die Homepage des Frankfurter Flughafens ermitteln, die Ankunft ist allerdings weder durch den Flughafen in Kairo noch direkt durch das Germania-Unternehmen zu erfahren.

"Niemand weiß, ob der junge Mann überlebt"

Alle Beteiligten und meine Wenigkeit sind zutiefst bestürzt über die Machenschaften der Hamburger Ausländerbehörde sowie über die Tatsache, dass in diesem kurzen Zeitraum die Möglichkeit der Verschiebung oder der Auflösung der Abschiebung keineswegs gegeben war! Hiermit stellen sich die Beteiligten mit einem großen Entsetzen die Frage, wie so etwas in einem ‚Rechtsstaat‘ von statten gehen darf und sie müssen mit der Erfahrung leben, vor vollendete lebensverändernde Tatsachen gestellt zu werden. Des Weiteren stellen wir uns die Frage, in wie vielen Nacht- und Nebelaktionen die Ausländerbehörde mit dieser Maßnahme vorgeht und gleichzeitig keine Rücksicht auf das Recht der Betroffenen nimmt. Das weitere Vorgehen in Kairo konnte uns bisher niemand beschreiben. Niemand weiß, ob der junge Mann überlebt."

Autor: Dennis Kormanjos