„Weniger pfeifen? Da habe ich nur wenig Lust zu“
Hamburgs „Kult-Schiri“ Ralph Vollmers im Interview
Das letzte Landesliga-Spiel ist für Ralph Vollmers (re., hier mit Ehefrau Anke) seit der vergangenen Woche Geschichte. Foto: Zerbian
„Es kommt einem zugute, wenn man einen gewissen Hang zum Masochismus hat“
FussiFreunde: Drago, Du hast am vergangenen Donnerstag mit der Partie VfL Lohbrügge – FC Voran Ohe Deine letzte Begegnung im Bereich der Ober- und Landesligen gepfiffen. Wie war das Gefühl nach diesem letzten Spiel?
Ralph „Drago“ Vollmers: Ich war schon sehr melancholisch. Man macht sich vorher so seine Gedanke, wie der Ablauf wohl sein wird. Das Spiel war dann so wie immer, nichts unnormales. Wir hatten eine leichte Partie, weil beide Mannschaften sich fair verhalten haben. Insgesamt war es aber trotzdem schon eine komische Stimmung.
FussiFreunde: Das Spiel vom Donnerstag war Dein letztes. Kannst Du dich noch an Dein erstes im Herrenbereich erinnern?
Vollmers: (überlegt lange) Nein. Ich weiß nur, dass ich aufgeregt war. Aber das ist heute noch so: Ich bin vor jedem Spiel aufgeregt.
FussiFreunde: Wieso wird man eigentlich Schiedsrichter? Man weiß doch, dass man da in der Kritik steht. Muss man masochistisch veranlagt sein?
Vollmers: Es kommt einem zugute, wenn man einen gewissen Hang zum Masochismus hat. Das ist grundsätzlich richtig. Ich selbst bin durch eine unbeachtete Äußerung meinerseits in die Rolle als Schiri gerutscht. Das war 1995. Ich war noch aktiver Spieler beim SV Börnsen. Damals wurden wir Spieler gefragt, ob wir uns nicht vorstellen könnten, eine Jugendmannschaft zu trainieren. Da habe ich gesagt: Ich werde eher Schiedsrichter statt Jugendtrainer. Daraufhin hat mich Börnsens damalige Schiri-Obfrau einfach zum Anwärterlehrgang angemeldet. So gesehen sind also sie, der SV Börnsen und mein loses Mundwerk Schuld daran (lacht).
„Die Hemmschwelle ist gesunken und die Gewaltbereitschaft gestiegen“
Am Donnerstag beim ODDSET-Pokalfinale wird Vollmers als Vierter Offizieller fungieren. Foto: Zerbian
FussiFreunde: Wie sehr hat sich das Dasein des Schiedsrichters in den Jahren, in denen Du dabei bist, verändert?
Vollmers: Es ist schwieriger geworden, weil die Verrohung der Gesellschaft zugenommen hat. Die Hemmschwelle ist gesunken und die Gewaltbereitschaft gestiegen. Das macht es für uns nicht einfacher. Wir Schiedsrichter sind auch nur Menschen und machen in jedem Spiel Fehler. Es gibt kaum ein Spiel, wo ein Schiedsrichter nicht bei irgendeiner Entscheidung daneben liegt. Das Geschrei, das von außen reingetragen wird, wird leider immer größer.
FussiFreunde: Überlegt man sich angesichts dessen manchmal: Warum mache ich das eigentlich?
Vollmers: Man macht sich schon Gedanken. Aber die sind bei jedem unterschiedlich. Das kommt darauf an, wie man selbst ein Spiel leitet. Es gibt Schiedsrichter, die wenig Stress in ihren Spielen zulassen. Die machen sich natürlich dann auch weniger Gedanken über so etwas. Aber wenn Du auf die Hörner bekommst, stellst Du Dir diese Frage unweigerlich. Das war Anfang 2000 bei mir nicht anders, als mich nach dem Oberliga-Spiel SC V/W Billstedt – Altona 93 Zuschauer verprügeln wollten und ich eine volle Dose Bier an den Kopf bekommen habe. Aber ich habe Spaß daran, unterschiedliche Charaktere auf dem Platz anzuleiten und ein Spiel zu gestalten.
FussiFreunde: In so langer Zeit erlebt man viel auf den Plätzen. Was war der schönste Moment in Deiner Schiedsrichter-Karriere?
Vollmers: Der schönste Moment ist sicher der, dass ich durch die Schiedsrichterei meine Frau Anke kennengelernt hab, die genauso bescheuert ist wie ich. Ich bin fußballverrückt, sie auch. Der Fußball ist ein Virus in mir. Mich zieht es immer auf den Platz. Wenn du eine Frau hast, bei der das auch so ist, dann ist das wie ein Sechser im Lotto.
„Wenn mich einer von denen anquakt, dann quake ich halt zurück“
"Der schönste Moment ist sicher der, dass ich durch die Schiedsrichterei meine Frau kennengelernt habe", sagt Vollmers über seine Ehefrau Anke (re., hier mit Lohbrügges Ismail Polat). Foto: Zerbian
FussiFreunde: Und was war der schlimmste Moment?
Vollmers: Es gibt da sogar zwei Momente. Da wäre zum einen die Sache nach dem Spiel Billstedt – Altona. Das war schon schlimm. Wenn sich da nicht die Spieler um mich herum aufgebaut hätten, wäre ich verprügelt worden. Ich kann jeden Schiedsrichter verstehen, der an diesem Punkt aufgehört hätte, wenn ihm sowas widerfahren wäre. Auch der andere Moment hängt mit dem Platz in Billstedt zusammen: 2011 hat meine Frau Anke dort beim Bezirksliga-Spiel V/W Billstedt II – Croatia einen Herzinfarkt erlitten. Da reagierst Du nur noch und realisierst erst, wenn Du zur Ruhe kommst, wie schlimm das alles war.
FussiFreunde: Du bist immer durch Deine besondere Art aufgefallen. Eignet man sich sowas im Laufe der Jahre an oder bist Du von mit dem Gedanken rangegangen: So will ich Spiele leiten!?
Vollmers: Das ist ein menschlicher Reflex. Entweder man hat ihn oder man hat ihn nicht. Diese kommunikative Art kommt scheinbar gut an. Mein Vorbild schlechthin was das Dasein als Schiedsrichter angeht, ist Harry Gigar, der auch immer sehr viel kommuniziert hat. Mit den Spielern zu reden, ist einfach etwas, was dich runterbringt. Wenn mich einer von denen anquakt, dann quake ich halt zurück. Vielleicht ist genau das mein Geheimnis, was mich so beliebt gemacht hat.
FussiFreunde: Wenn man so lange dabei ist, entwickeln sich Freundschaften. Hat es irgendwann mal wehgetan, eine Entscheidungen gegen jemanden zu treffen oder blendet man das aus?
Vollmers: Es gibt viele Bekanntschaften, die sich durch solche Sachen erledigt haben. Da waren einige, wo ich dachte, dass wir ein tolles Verhältnis zueinander haben, bei denen sich das aber dann relativiert hat, weil sie Dich mit dem Arsch nicht mehr angeguckt haben, nachdem Du nicht mit ihrer Sichtweise konform gegangen bist. Die machen auf schön Wetter, so lange sie sich einen Vorteil davon versprechen und wenn sie sich dann vermeintlich benachteiligt fühlen, merkst Du, was für eine Art Menschen das sind. Allerdings muss ich sagen: Ich habe durch den Fußball viele Freunde kennengelernt, auch für das private Leben.
„Ich bin dankbar, dass ich bei so einem Event noch einmal dabei sein darf“
Beim ODDSET-Pokalfinale am Donnerstag bist du Vierter Offizieller, während Thorsten Bliesch das Spiel pfeift. Wärest Du gerne zum Abschied der „Mann an der Pfeife“ gewesen?
Vollmers: Ich haben ja 2013 schon ein Pokalfinale als Schiedsrichter geleitet. Das war ein super Highlight. Ich bin dankbar, dass ich bei so einem Event noch einmal dabei sein darf. Thorsten Bliesch hat es absolut verdient, das Finale zu pfeifen. Er ist seit 25 Jahren dabei. Ich selbst bin einfach nur stolz, nochmal Teil dieses Endspiels zu sein.
Du wirst künftig ja vermutlich weniger Spiele pfeifen. Wie muss man sich die Wochenenden im Hause Vollmers jetzt vorstellen?
Vollmers: Weniger pfeifen? Da habe ich nur wenig Lust zu. Ich kann noch gar nicht sagen, wie es sein wird. Frag' mich das in einem Jahr nochmal. Ich hoffe, dass ich bei den Spielen, die ich in der Bezirks- und Kreisliga leiten werde, weiterhin Spaß habe. Es werden ja nur in dem Sinne weniger Spiele, dass wir als Gespann sagen könnten: Jetzt pfeift mal jemand anderes und ich gehe an die Linie. Vielleicht mache ich das auch mal bei Nachwuchs-Schiedsrichtern. Es bleibt also dabei: Das Wochenende bei uns besteht aus Fußball...
Interview: Jan Knötzsch