Erst sorgt Keller für Stimmung, dann ist die Stimmung im Keller

St. Paulis „Zweite“ fängt sich gegen Drochtersen spät den Ausgleich

03. September 2017, 16:53 Uhr

Die 68. Minute: St. Paulis Joe Keller (re.) fliegt vom Platz. Foto: KBS-Picture

Bis zur 86. Minute der Begegnung sah die Zweitvertretung des FC St. Pauli in ihrem Regionalliga Nord-Heimspiel gegen die SV Drochtersen/Assel wie der Sieger aus, führten die Gastgeber doch mit 1:0. Doch wie heißt es so schön: Man sollte den Tag nicht vor dem Abend loben. Und so standen die Kiezkicker nach den 90 Minuten vor 338 Zuschauern an der Ochsenzoller Straße beim 1:1-Endstand nicht mit drei sondern mit nur einem Punkt da. 

„Ein bisschen“, gestand Joachim Philipkowski, „habe ich ja noch gehofft, dass es bis zum Ende beim 1:0 bleibt.“ Doch das innerliche Flehen von „Piepel“ wurde nicht erhört. Als der Abpfiff der Partie zwischen dem FC St. Pauli II und der SV Drochtersen/Assel ertönte, stand es 1:1. Und so konnten St. Paulis Coach und seine Mannen im Anschluss an die Begegnung keinen Sieg bejubeln. Vielmehr stand Philipkoswki am Eingang zu den Kabinen einige Augenblicke neben Joel Keller und redete dem 22-Jährigen gut zu. Keller hätte zum Helden des Spiels werden können, den Sprung in diese Rolle vermasselte er sich selbst. Doch dazu später mehr. Zunächst einmal zurück zum Anfang.

Torschütze Keller tritt übermotiviert zu – und muss vorzeitig runter

Jubel über den Ausgleichstreffer: Drochtersens Alexander Neumann. Foto: KBS-Picture

Die Reserve der Kiezkicker erwischte das, was man gemeinhin als Auftakt nach Maß betitelt: Acht Minuten waren im Edmund-Plambeck-Stadion absolviert, als die Braun-Weißen fast an der rechten Strafraumkante einen Freistoß zugesprochen bekamen. Joel Keller war derjenige, der zur Ausführung antrat. St. Paulis Nummer fünf lief an, traf den Ball gut mit dem linken Fuß und die Kugel flog – zunächst über die Mauer hinweg und dann schließlich ins rechte Eck des Gästetores. Keller drehte jubelnd ab, die „Boys in Brown“ führten mit 1:0. Drei Minuten später gab Theodor Bräuning den nächsten Schuss auf den Drochtersen/Assel-Kasten ab, dieser Versuch jedoch war eine leichte Beute für Schlussmann Jannis Trapp. Und in der Vorwärtsbewegung? Dort blieben die Gäste weiterhin schwach. Ein Freistoß von Marcel Andrijanic landete mitten in der Mauer (13.). Der Nachschuss brachte nichts ein. St. Paulis Reserve hingegen sorgte weiterhin für Betrieb vorm gegnerischen Tor. Erst war es Sirlord Conteh, der nach 15 Minuten eine scharfe Hereingabe von Jan-Marc Schneider verpasste, dann folgte der große Aufreger.

Marcell Sobotta wurde geschickt, drang in den Strafraum ein und kam im Duell mit Dorchtersens Matti Grahle zu Fall. Schiedsrichter Joost Steenken pfiff und deutete auf den Elfmeterpunkt. Zur Ausführung des Strafstoßes kam es allerdings nicht, denn: Nach Rücksprache mit seinem Assistenten, der offenbar ein Handspiel oder ein Foul von Sobotta gesehen hatte, nahm der Unparteiische seine Entscheidung zurück. Die Proteste der Kiezkicker brachten nichts ein (27.). Anschließend konnte Drochtersen/Assel zwei gefährliche Situationen für sich verbuchen: Erst traf Alexander Neumann nach 33 Minuten das Außennetz, dann hatte der Ex-St. Paulianer Erdogan Pini seinen großen Auftritt, als er knapp 20 Meter vor dem Tor der Hausherren an den Ball kam, seinen Gegenspieler stehen ließ und abzog. Die Kugel klatschte an die Querlatte (36.). Den Schützlingen von Joachim Philipkowski blieb die letzte Chance des ersten Durchgang, als Bräunings Versuch am langen Eck vorbei ging (37.).      

Maaßen: „In der zweiten Halbzeit haben wir richtigen Power-Fußball gespielt“

Festgehalten: St. Pauli-Keeper Stefan Rakocevic klärt vor Alexander Neumann. Foto: KBS-Picture

Die zweiten 45 Minuten begannen mit einem Andrijanic-Schuss, der daneben ging (59.). Es war so etwas wie der Startschuss einer Phase, in der die Reserve der St. Paulianer ins Schwimmen geriet – und sich nach 68 Minuten zu allem Überfluss dann auch noch selbst dezimierte. Zwei Mal blieb die Pfeife von Schiedsrichter Steenken stumm, dann ging ausgerechnet Torschütze Keller – weil zuvor ein Vergehen an ihm nicht gepfiffen worden war – übermotiviert und rustikal in einen Zweikampf gegen Andrijanic und traf diesen klar am Fuß. Dem fast direkt daneben stehenden Unparteiischen blieb nichts anderes übrig, als Keller mit der Roten Karte vorzeitig zum Duschen zu schicken. Mit einem Mann mehr auf dem Feld drückte Drochtersen/Assel fortan noch mehr auf den Ausgleich.

Zwei Mal hatte die Philipkowski-Elf dabei zunächst Glück: Erst vergab Alexander Neumann gegen St. Paulis Schlussmann Stefan Rakocevic, dann ging ein Freistoß von Nico Mau vorbei (81.). Zwischendurch hätte Brian Koglin per Kopf den zweiten Treffer für die Gastgeber markieren können (75.). So aber kam es anders: Mau setzte sich links durch, erhielt von seinem Gegenspieler Michael Ambrosius dabei allenfalls Geleitschutz und setzte folgerichtig zur Hereingabe an. Die landete bei Alexander Neumann – und der vollendete vier Minuten vor dem Schlusspfiff aus spitzem Winkel an Rakocevic vorbei zum 1:1-Endstand.

Philipkowski zum Keller-Rot: „Im Fußball knallem einen schon mal die Laternen durch“

Da war alles noch in Ordnung: Joel Keller (Nummer fünf) bejubelt seinen Treffer zur 1:0-Führung. Foto: KBS-Picture

„Wir haben gegen die Mannschaft der Stunde gespielt, die in den letzten beiden Spielen elf Treffer erzielt hat. Entsprechend war es unser Plan, dass wir tief stehen und dem Gegner keine Räume hinter der Kette geben wollten“, verriet Gästetrainer Enrico Maaßen nach dem Spiel, um sich dann selbst einzugestehen, dass dies vor der Pause so gar nicht funktioniert hatte: „Es zieht sich durch die Saison, dass wir immer einem Rückstand hinterherlaufen. Die erste Halbzeit ärgert mich, da war viel mehr möglich.“ Allerdings: „In der zweiten Halbzeit haben wir richtigen Power-Fußball gespielt. Wir waren eine ganz andere Mannschaft. Wir haben uns das 1:1 völlig verdient.“ Eine Aussage, der auch Joachim Philipkowski beipflichten konnte.

„Der Ausgleichstreffer hat sich die ganze zweite Halbzeit über angekündigt. Das Tor für Drochtersen war völlig verdient. Ich bin happy, dass wir am End ein Unterzahl nicht noch verloren haben“, sagte der St. Pauli-Coach im Anschluss an die Partie, „wir haben jetzt vier Partien auf einem Top-Level gespielt. Das war heute unser schlechtestes Spiel.“ Harte Worte. In Bezug auf Rotsünder Keller hingegen gab sich „Piepel“ vergleichsweise zurückhaltend: „Das kann im Fußball mal passieren, da sind Emotionen drin. Dann knallen einem schon mal die Laternen durch.“  

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