Buhrufe als Motivation: „Sobby“ schädelt und straft Ex-Klub ab!

Türkiye tor- und trostlos: „Das war nicht oberligareif!“

26. August 2017, 19:47 Uhr

Der FC Süderelbe bejubelt den 3:0-Derbysieg beim FC Türkiye und bleibt auch im vierten Spiel unbesiegt.

Als Ian-Prescott Claus in der 79. Spielminute nach verrichteter Arbeit langsam vom Platz trottete, rief ihm sein Trainer Markus Walek zu: „Das brauchen wir nicht“, und meinte damit das eher gedrosselte Tempo des Angreifers auf dem Weg in Richtung Bank. „Komm schneller – ich habe heute noch einen Termin und muss schnell los“, fügte Walek an und hatte die Lacher auf seiner Seite. Jene Szene beschrieb aber nicht nur die gute und ausgelassene Stimmungslage beim FC Süderelbe, sondern diente auch als Beweis dafür, wie harmlos der FC Türkiye an diesem Nachmittag war. So harmlos, dass selbst der Übungsleiter der Gäste nicht an der Uhr drehen wollte und keine Gefahr sah, dass die Partie noch einmal kippen könnte.

„Wir haben uns gut auf Türkiye eingestellt, deren Stärken aus dem Spiel und ihnen den Wind aus den Segeln genommen“, bilanzierte Markus Walek, dessen Schützlinge nach dem Überraschungs-Coup gegen Teutonia 05 (2:0) dem nächsten Top-Platz-Anwärter ein Bein stellten. Und wie sie das taten! Allen voran FCS-Abwehrrecke Martin Sobczyk, der nicht nur von seinem Trainer zum „Spieler des Tages“ gekürt wurde. Sobczyk trumpfte gegen seinen Ex-Klub ganz groß auf, bildete in der Innenverteidigung mit Nico Reinecke ein unbezwingbares Duo – und sorgte mit einem Tor und einer Vorlage auch vor des Gegners Tor für blankes Entsetzen bei den Wilhelmsburgern. „Im letzten Jahr haben sie ihn 90 Minuten lang ausgebuht und Schmähgesänge gegen angestimmt“, erinnert sich Walek. „Deshalb ist es für ihn und für uns umso schöner. Und es wird ihn bestimmt noch mehr gepusht haben.“

Während Sobczyk zur Höchstform auflief, konnten beim FC Türkiye nur Sascha de la Cuesta und Mert Kepceoglu, bis zu seinem Aussetzer in der 88. Minute, als er Francis Gyimah von hinten in die Parade fuhr und dafür glatt Rot sah, annähernd Normalform erreichen. Zumindest waren „Dela“ und Kepceoglu gewillt, sich gegen die drohende Schmach zu stemmen. Das konnte man wahrlich nicht von allen Wilhelmsburgern in diesem Derby behaupten. Vor allem die erfahrenen Leute leisteten sich eklatante Böcke. Ein Tolga Tüter in der aktuellen Verfassung ist nur ein Schatten seiner selbst, die Barlak-Brüder beschäftigten sich während der 90 Minuten mehr mit dem Schiedsrichter und dessen Assistenten als mit dem Fußballspielen, Michael Löw wirkte im Abschluss schlichtweg unbeholfen und versiebte die klarsten Chancen – und dann wären da noch die schier unfassbaren individuellen Schnitzer. „Ich bin enttäuscht von der Gesamtleistung. Wir haben heute ein Leistungsniveau gezeigt, was nicht oberligareif war! Und da nehme ich nicht zwei, drei Spieler raus, sondern meine die komplette Truppe“, fand Türkiye-Coach Dennis Kreutzer nach Abpfiff überaus deutliche und absolut zutreffende Worte.

Türkiye patzt und schenkt die Tore her - "Verlieren zu früh den Kopf"

Süderelbes neuer Co-Trainer Timucin Gürsan hatte gut lachen.

Ein Beispiel für die eklatante Vorstellung der Hausherren: Vor dem 0:1 vertändelte Bilyal Mustafov – in den letzten Jahren eine absolute Bank – auf leichtfertigste Art und Weise einen Ball und verschuldete damit einen Freistoß. Diesen schlug Ian-Prescott Claus ganz lang auf den zweiten Pfosten – und das eher als verunglückte Bogenlampe, die gefühlte 20 Sekunden in der Luft war, so dass selbst Walek hinterher schmunzeln musste, was daraus entstand. Denn mit Niklas Golke gewann einer der kleinsten und schmächtigsten Leute auf dem Platz auf Höhe der Grundlinie ein Kopfballduell und ermöglichte Sobczyk, den in der Mitte gar keiner mehr auf dem Zettel hatte, das frühe 0:1 (16.)! „Es ist nicht gut von uns, wenn wir einen so passiven Gegner haben – und das meine ich absolut nicht abwertend, aber so etwas Passives habe ich noch nie erlebt –, wir das eine Woche lang trainieren und ansprechen, und trotzdem so früh den Kopf verlieren. Und wenn ich dann diese individuellen Patzer sehe, dann ist es natürlich schwierig. Damit gibt's du Mannschaften, die so passiv sind, neues Futter, mehr zu laufen, mehr zu arbeiten, mehr Wege zu machen, und positiv zu bleiben“, so Kreutzer.

Keine neun Zeigerumdrehungen darauf konnte sich der lauffreudige Jan Luka Segedi auf dem rechten Flügel gleich gegen zwei Mann behaupten, ehe er den im Zentrum einrückenden Max Hartmann sah. Dieser fackelte nicht lange und schweißte das Spielgerät in allerfeinster Manier aus 18 Metern in den rechten Giebel ein – 0:2 (25.)! Türkiye biss sich an der Defensive der „Kiesbargler“ die Zähne aus. „Wir haben sie schon da, wo wir sie haben wollten“, rief Walek seinen Akteuren früh im Spiel zu, als die Hausherren bereits begannen, untereinander zu hadern. Auch im zweiten Abschnitt sollte es nicht besser werden. Ganz im Gegenteil. Sämtliche Vorsätze auf Besserung wurden schnell über den Haufen geworfen, weil dieses Mal Torwart Tobias Braun ganz böse patzte – und wieder war ein Claus-Freistoß der Ausgangspunkt: Aus noch größerer Entfernung als vor dem 0:1 flog die Kugel - erneut scheinbar ins Nirvana – in den Strafraum. Braun eilte raus und reklamierte den Ball lautstark für sich. Allerdings segelte er vorbei, Sobczyk legte daraufhin per Kopf von der linken Grundlinie quer und Tarik Cosgun staubte zum 0:3 aus Türkiye-Sicht ab (52.)! „Wenn du dir jedes Mal solche Dinger reinmamelst, dann brauchen wir nicht drüber zu reden. So wird's für jede Mannschaft schwierig. Wir müssen einfach wieder viel fleißiger sein“, fordert Kreutzer von seinen Jungs.

"Anspruch hin, Anspruch her: So gewinnst du kein Spiel!"

Tarik Cosgun (li.) machte mit seinem Abstauber den Deckel drauf.

In der Folge boten sich den Gästen sogar noch weitere Räume und Konterchancen, um einen noch höheren Sieg davonzutragen. Aber auch so war die Klatsche für die Wilhelmsburger perfekt. „Ein Derbysieg, auswärts bei Türkiye, vier Spiele ungeschlagen: Was will man mehr?!“ Eine berechtigte Frage, die Walek in den Raum warf. Und all das ohne den herausragenden Spieler der letzten Wochen. Denn die Neugrabener mussten auf Vedat Düzgüner, den eine Muskelzerrung plagte, verzichten. „Grundsätzlich brauchen wir nicht über Vedat sprechen. Für mich ist er einer der besten Spieler in der Oberliga. Trotzdem fahren wir die Philosophie, dass jeder jeden ersetzen kann. Natürlich gibt es Spieler, die über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügen, aber es ist nun mal so und wir können daran nichts ändern. Sicherlich hätten wir ihn heute opfern können, aber wir wissen, dass in der nächsten Woche das nächste schwere Spiel wartet“, erklärte Walek.

Sein Gegenüber fand derweil ganz offene Worte – und bemängelte dabei auch die Mentalität: „Wir neigen dazu, zu meinen, gewisse Spiele durch unser fußballerisches Talent oder durch unsere Gabe schon vorher im Kopf gewonnen zu haben. Das ist ein Thema, seitdem wir hier angefangen haben. Wir haben versucht, es die Woche über zu thematisieren. Leider Gottes verfallen wir immer noch in solche Situationen. Aber darüber werden wir weiter sprechen. Denn Anspruch hin, Anspruch her: So gewinnst du gegen keine Mannschaft in der Oberliga, wenn du solche individuellen Fehler machst und dann auch noch so wenig Disziplin und Fleiß an den Tag legst! Du musst in dieser Liga jedes Spiel und jeden Gegner ernst nehmen und immer Vollgas geben. Und dann reicht auch mal ein 1:0.“ Hinzu kommt die Tatsache, dass sich der FC Türkiye auf dem heimischen Naturrasen ganz offensichtlich deutlich schwerer tut als auf Kunstrasen. „Es klingt immer lächerlich. Aber wir sind nun mal eine fußballerisch starke Mannschaft, die immer versucht zu agieren. Man sieht es im Spielaufbau, dass wir hier immer einen Tick länger brauchen, bis wir die Bälle richtig verarbeitet haben. Und für die Mannschaften, die robuster sind und eher über das Körperliche kommen, ist es natürlich einfacher. Aber man muss ganz klar sagen, dass von jedem Einzelnen zu wenig kommt. Wir haben nicht eine Baustelle, sondern waren kollektiv schlecht!“ Auch das Fehlen von Serhat Yapici, der heute geheiratet hat, machte sich überaus deutlich bemerkbar.

Walek als "Überraschungsgast"

Der angeschlagene Vedat Düzgüner war anschließend für die Schlachtgesänge im Siegerkreis zuständig.

Während bei den Wilhelmsburgern nun schon wieder Druck unterm Kessel ist, herrscht am Kiesbarg eine ganz andere Stimmungslage. „In der einen Woche liest du was von einem Fehlstart, dann schlägst du Teutonia und es ist auf einmal doch kein Fehlstart. Wir wollen uns von Woche zu Woche verbessern. Und wir wissen auch, dass wir im Harburg-Pokal, als wir von Türkiye auf den Sack bekommen haben, nicht ansatzweise da waren, wo wir jetzt sind.“ Und wo soll die Reise noch hingehen? Ist für den FC Süderelbe vielleicht sogar mehr möglich, als der reine Kampf gegen den Abstieg? „Jeder in der Mannschaft ist wichtig, wir haben eine gute Chemie und sind ein Team. Das Gute ist doch, dass man merkt, dass immer noch mehr Luft nach oben ist“, so Walek, der abschließend noch einmal aufklärte, warum er es denn so eilig hatte und wie sein „Termin“ aussieht: „Ich fahre gleich rund 500 Kilometer nach Siegen. Ein Freund von mir wohnt dort und feiert in seinen 30. Geburtstag rein. Da bin ich so etwas wie der Überraschungsgast.“ Ein Überraschungsgast, der sicherlich viel gute Laune versprühen wird.

Autor: Dennis Kormanjos