„Büschen sinnig hier auf der Anfield“

Hamburgs Traditionsplätze – Wilhelm-Rupprecht-Platz / von Dirk Becker

11. April 2013, 08:57 Uhr

Immer für eine Aktion gut: der Barmbeker Pöbel.

„Hier kann man noch Fußball atmen“, sagte Peter Martens einst, als er beim HSV Barmbek-Uhlenhorst das Traineramt übernahm. Martens Aussage, die Anfang der 2000er fiel, war seinerzeit auf den Barmbeker Wilhelm-Rupprecht-Platz gemünzt. Wir nehmen uns an dieser Stelle einmal die Freiheit, die Worte des Übungsleiters auf unsere gesamte Rubrik „Hamburgs Traditionsplätze“ auszuweiten. Sportstätte voller Historie: nach der Adolf-Jäger-Kampfbahn, der Kreuzkirche, dem Stadion Marienthal, der Hohenluft und dem Reinmüller geht es heute an die Steilshooper Straße.

Lange dauert es freilich nicht mehr, bis sich bei BU Grundlegendes tun wird. Zur Saison 2015/16 will der Oberligist seine gewohnte Heimspielstätte verlassen und auf einer neuen Kunstrasenanlage seinen Dienst verrichten. Unweit des alten Areals soll gegenüber dem ehemaligen Margarine-Voss-Werk – heute Sitz der Techniker Krankenkasse – der neue Barmbeker-Fußballtempel entstehen. 1200 Zuschauer soll das künftige Stadion inklusive einer Sitzplatztribüne fassen, während auf dem alten Gelände Wohnungen entsprießen sollen. Der Schritt, wenn eine tradionsbehaftete Sportstätte für immer ihre Pforten schließt, geht naturgemäß mit einem öffentlichen Diskurs einher. Für und Wider werden abgewogen, es wird kontrovers diskutiert. Im Detail wollen wir an dieser Stelle gar nicht darauf eingehen. Nur so viel: die Messlatte für den neuen Platz, jemals so viel Reputation zu erlangen, wie die alte Anlage, wo 1978 sogar ein Tatort mit Kommissar Trimmel gedreht wurde, liegt immens hoch.

Der Blick ins Fußball-Lexikon Hamburg (Die Werkstatt, Göttingen 2006) liefert Fakten. „Der nach Vereinsgründer Wilhelm-Rupprecht benannte reine Fußballplatz wurde am 30. August 1925 mit einer 1:5-Niederlage gegen den SV Eimsbüttel (ETV) offiziell eingeweiht“, heißt es in dem Nachschlagewerk. Nach Intermezzi in der Winterhuder Jahnkampfbahn (1963/64) und dem Alsterdorfer Sperber Sportplatz (1966/67) – auf Rupprecht-Platz fehlte es an vernünftigem Rasenbelag für die jeweiligen Spielklassen – weihte BU seine Herberge mit frisch angewachsenem Grün am 22. August 1967 mit einem 3:4 gegen den Hamburger SV neu ein. Als BU 1974/75 in der zweiten Bundesliga an den Start ging, musste abermals improvisiert werden. Weil man an der Steilshooper Straße die Verbands-Anforderungen nicht erfüllen konnte, war man gezwungen, einen Ausweichplatz zu finden. Am Rothenbaum, der alten HSV-Anlage, trug man seine Heimspiele aus und stieg am Ende sang- und klaglos ab.

Man war wer im Norden

BU-Coach Frank Pieper und seine Elf spielen daheim bald ausschließlich auf Kunstrasen. Fotos: KBS-Picture.de

Einer, dessen Herz seit Kindestagen für BU schlägt, ist Detlef Grandt. Nur allzu gerne erinnert sich der heutige Barmbeker Fan-Koordinator an das besagte Einweihungsmatch gegen die Rothosen. „Für mich begann alles im August 1967. Da ein Kumpel von mir den Andy (Andreas Brehme)aus der Schule kannte und sein Vater mit dabei war, durfte ich auch hin. Einer von über 7000 Zuschauern ,die mitbekamen, wie klein Andy dem großen Idol, Mannschaftsführer und Nationalspieler Uwe Seeler unseren BU-Wimpel überreichte. Das Spiel endete und mich hatte das Barmbeker BU-Fieber gepackt.“

In seiner ruhmreichen Vergangenheit war der Rupprecht-Platz Austragungsort großartiger Spiele. Insbesondere in den 1970er-Jahren, als unter anderem Harry Bähre, Willy Giesemann, Ernst Kreuz, Klaus Fock, Helmut (Ratte) Sandmann und sogar Charly Dörfel die Stiefel für BU schnürten, war man wer in Norddeutschland. Grandt: „In diese Zeit spielte BU in der damaligen Regionalliga als 2. Liga hinter Bundesliga immer oben mit, gemeinsam mit den Dauerfavoriten FC St. Pauli und VfL Osnabrück sowie namhaften Vereinen wie VfL Wolfsburg, Göttingen 05, aber auch Holstein Kiel, VfB Lübeck und Olympia Wilhelmshaven gelangen immer Platzierungen zwischen drei und sechs vor oft gut 5000 Zuschauern.“ Für die Stadtduelle gegen den FC St. Pauli um die Vorherrschaft als Nummer 2 in Hamburg war der Rupprecht-Platz oft restlos ausverkauft. „Teilweise wich man bei Heimspielen aus auf das alte Stadion am Rothenbaum oder Volksparkstadion, wo schon mal 10.000 Zuschauer dabei waren“, erinnert sich der Justizvollzugsbeamte.

Die Geburtsstunde des Pöbels

BU wäre nicht BU ohne seine zahlreichen Fans. Noch heute kann sich der Klub aus dem Arbeiterstadtteil auf die Unterstützung seiner treuen Anhängerschaft verlassen. Allen voran die Fangruppierung Barmbeker Pöbel weiß auf sich aufmerksam zu machen. Die Geburtstunde des Pöbels ist Mitte der 1980er zu suchen. Grandt: „Wir spielten in der Bezirksliga Nord gegen Mannschaften wie DuWo 08, Duvenstedt, Farmsen, Alsterbrüder oder Paloma II. Da stand plötzlich ein älterer, gesetzter Herr vor uns fünf bis sieben Fans, die schon damals nicht gerade leise waren – eben der Restbestand aus dem alten Fanclub blaugelb Barmbek – und meinte: ‚Sacht mal, was fällt euch ein! Das ist ein Amateurspiel am Sonntagnachmittag und dann hier rumpöbeln! Wir sind hier nicht beim HSV oder Sankt Pauli. Wenn ihr krakelen wollt, dann müsst ihr auf‘n DOM‘. Das war der Ursprung und Name vom Barmbeker Pöbel, gleichwohl einige Altvordere von BU das nicht gut fanden und nicht unterstützten. Barmbeker Jungs sollten wir uns nennen. Doch die Mehrheit siegte, auch durch den originellen Namen, wie die Presse meinte. Der Name setzte sich durch und ist Kult bis heute.“

Ebenso legendär wie der Barmbeker Pöbel ist der Beiname des Rupprecht-Platzes. Anfield in Analogie zum Stadion des FC Liverpool wird die Anlage liebevoll genannt. Doch woher rührt der Vergleich zwischen Hamburger Amateurklub und dem verdienten englischen Profiverein? „Irgendwann in den 1990ern unterbrach der Schiedsrichter Harry Gigar das Spiel, kam zum Pöbelblock, welcher verbal mal wieder etwas über die Stränge schlug und meinte zu uns: ‚Hey, hey Barmbeker Pöbel, nu man mal n büschen sinnig hier auf der Anfield, sonst … !‘ Wir hatten verstanden, und der Name Barmbeker Anfield war geboren und hat bis heute Bestand“, erklärt Grandt.