Sieben Streiche und Siebenmeilenstiefel – aber „geschockte“ Trainer hüben wie drüben!

"Müssen mit Leuten spielen, die keine Oberliga-Verfassung haben!"

30. September 2017, 01:25 Uhr

Osdorf Henrik Schmidt (li.) ging über 90 Minuten als Sieger gegen Dimitrij Rikspun und dessen HSV III hervor. Foto: Christian Küch

Sein Team erzielte fünf Tore auf des Gegners Platz und feierte einen wichtigen Sieg – doch irgendwie war Osdorf-Coach Piet Wiehle anders als sonst: Ruhiger, gediegener, zurückhaltender und auch weniger euphorisch oder ekstatisch an der Seitenlinie. Lag’s etwa an den grellen neongelben Trikots seiner Schützlinge, die dem Trainer auf‘s Gemüt schlugen? „Nein, die sehe ich heute ja schon zum dritten Mal“, grinste Wiehle, ehe er die Erklärung dafür offenbarte: „Es kann damit zusammenhängen, dass ich über den Auftritt der Mannschaft in der ersten Halbzeit geschockt war. Darüber war ich wahrscheinlich so sprachlos, dass mir die Worte fehlten!“

Viel hatten die ersten 45 Minuten zwischen dem Oberliga-Schlusslicht HSV III und dem TuS Osdorf tatsächlich nicht zu bieten. Dabei hätten die „Rothosen“ schon nach vier Zeigerumdrehungen für das erste Highlight des Spiels und bei erfolgreicherer Umsetzung vermutlich auch für einen Höhepunkt der Saison sorgen können, als Andy Akoteng-Bonsrah nach eine, Osdorfer Eckball noch im eigenen Sechzehner zu einem unnachahmlichen Sololauf über das gesamte Spielfeld ansetzte. Doch sein Abschluss – aus 15 Metern halbrechter Position – verfehlte das lange Toreck knapp. Das wäre vermutlich genau die Initialzündung gewesen, die das von zahlreichen Rückschlägen gezeichnete Karch-Ensemble gebraucht hätte. Stattdessen bogen die Gäste mit ihrer zweiten Offensivaktion auf die Siegerstraße ab, als Bennet Krause – nach einem von den Hausherren nur unzureichend geklärten Standard – am gegnerischen Sechzehner für Torben Krause ablegte. Dessen Schuss aus 16 Metern wurde noch ganz leicht abgefälscht und ließ einen geschlagenen Jan Haerting zurück – 0:1 (32.)! Wenig später hätte Felix Spranger die Führung verdoppeln können, scheiterte aber an Haertings Hand und dem Außenpfosten. Auch wenn sein Team führte, überzeugend war der Auftritt der in dieser Saison bislang so auswärtsstarken Osdorfer nicht. „Alles hat mir gefehlt“, bemängelte Wiehle – und ging dann in die Einzelheiten: „Kampf, Leidenschaft, Einstellung – und der Wille, dieses Spiel gewinnen zu wollen. Denn eins darf man nicht verkennen: Wir brauchen in unserer jetzigen Situation auch jeden Punkt. Deshalb hatte ich mir einen anderen Auftritt ab der ersten Minute gewünscht.“

"Ich habe mich ordentlich in Rage geredet"

Die Anhänger der Rothosen hatten zum 130. Geburtstag ihres Klubs schon im Vorfeld eine besondere Choreo geplant. Foto: Christian Küch

Auf Nachfrage, ob seine Equipe in der Pause einen aufgebrachten und lautstarken Trainer zu sehen und vor allem zu hören bekam, entgegnete Wiehle: „Ja!“ Dann führte er aus: „Ich habe den Jungs gesagt, dass sie froh sein können, dass wir 1:0 führen – sonst wäre es wohl noch ein bisschen lauter geworden. Aber ich habe mich auch so schon ordentlich in Rage geredet.“ Während der Partie war er jedoch verhältnismäßig ruhig. „Wahrscheinlich war ich so schockiert, dass mir die Worte gefehlt haben.“ Auch nach dem vermeintlichen „Brustlöser“, wie Wiehle das 2:0 bezeichnete, als Melvin Bonewald einen langen Freistoß von Marcel Peters äußerst uneigennützig für Vollstrecker Tim Jobmann auferlegte und eine nur zuschauende HSV-Hintermannschaft zurückließ (56.), kehrte bei den „Blomkamplern“ keine Ruhe ein. Im Gegenteil. Nach einem Foul an Akoteng-Bonsrah trat Hannes Steckel den anschließenden Freistoß aus 20 Metern halblinker Position – und hatte Glück, dass sein Schuss derart abgefälscht wurde, dass dieser über den bereits in seine rechte Ecke unterwegs befindlichen Patrick Hartmann hinweg ins linke Eck tropfte (59.)! Der Liga-Neuling war zurück im Geschäft – und kurz darauf drauf und dran, das Spiel komplett auf den Kopf zu stellen.

Diesmal war es der ansonsten unauffällige Dimitrij Rikspun – machte nur in einer Szene auf sich aufmerksam, als er sich mit Damian Ilic um die Ausführung eines Freistoßes stritt –, der Akoteng-Bonsrah mit einem schicken Steilpass bediente. Der wohl beste „Rothose“ schloss trocken ins kurze Eck ab und egalisierte zum 2:2 (63.)! Kurz bevor Wiehle die Hutschnur platzte, bewies seine Elf aber eine tolle Moral. Allerdings trug auch der Gegner seinen Teil dazu bei, dass der TuS wieder die Oberhand gewann. „Ich glaube, der HSV hat einen Fehler gemacht: Sie wollten nach dem Ausgleich zu viel. Manchmal wird so etwas bestraft – und das war heute der Fall“, befand Wiehle. Während Karch dazu meinte: „Natürlich willst du das Ding dann gewinnen, weil du Blut geleckt und gemerkt hast, dass hier was geht und dass du nicht schlechter bist. Aber was will man erwarten? Da spielen nachher Leute vorne, die zusammen vielleicht acht Oberligaspiele haben.“

"Müssen mit Leuten spielen, die zurzeit nicht in der Verfassung sind, Oberliga zu spielen"

Die Vorentscheidung! Felix Spranger (re.) schließt einen Konter ab. Foto: Christian Küch

Osdorf drückte nun auf die erneute Führung – und erzielte diese auch durch Melvin Bonewald (71.). Dessen Kopfballtreffer nach herrlicher Trapp-Flanke wurde jedoch zurückgepfiffen, weil er sich aufgestützt haben soll. Nicht die einzige extrem diskutable Entscheidung des alles andere als souverän wirkenden Schiedsrichter-Gespanns unter der Leitung von Dennis Voß (TuS Dassendorf). Fast im direkten Gegenzug hätte Kristijan Augustinovic beinahe für das 3:2 gesorgt, wenn Hartmann in seinem Torwarteck nicht auf der Hut gewesen wäre. In der Folge ging es aber fast nur noch in eine Richtung – und zehn Minuten vor Ultimo wurde der Aufwand der Gäste belohnt: Jeremy Wachter legte ein bemerkenswertes Solo über den linken Flügel hin und fand am zweiten Pfosten Eddy-Morton Enderle, der erst 180 Sekunden auf dem Platz war und das Leder unter die Latte jagte – 2:3 (80.)! Dann: HSV III-Coach Karch beorderte seinen Keeper Jan Haerting bereits drei Minuten vor Ende der regulären Spielzeit bei einem Eckball in den Osdorfer Strafraum. Der Ball wurde abgefangen und vom eingewechselten Germain Hounsiagama über Dreiviertel des Platzes nach vorne getragen. Letztlich hatte er auch noch das Auge für den mit aufgerückten Spranger, der eiskalt einschoss – 2:4 (87.)! Die Hausherren waren nun offen wie ein Scheunentor und mussten auch noch den fünften Gegentreffer schlucken, als Torben Krause mit seinem Pass Wachter auf die lange Reise schickte und dieser den Endstand herstellte (90.)!

„Es war ein sehr komisches Spiel“, konstatierte Wiehle, „aber das ist mir jetzt wirklich scheißegal. Wichtig ist, dass wir gewonnen haben. Und das nach der schlechtesten Halbzeit, die ich in dieser Saison von uns gesehen habe. Sein Gegenüber stand nach Schlusspfiff erst einmal mit leerem Blick einige Zeit vor seiner Trainerbank. „Es ist zurzeit jede Woche das gleiche. Du brauchst immer einen Nackenschlag, um ins Spiel zu kommen. Dann gelingt uns das sogar, wir machen aus einem 0:2 ein 2:2, was eigentlich für den Charakter der Mannschaft spricht – aber aktuell sind wir einfach zu schlecht!“ Klare Worte von Felix Karch, der sich nun – im Wiehle-Stil – regelrecht in Rage redete: „Du kriegst Woche für Woche auf den Arsch, einen Nackenschlag nach dem anderen, sodass wir zurecht da unten drinstehen. Das größte Problem ist ganz einfach das, dass wir es aktuell nicht auf die Platte bekommen, was wir uns unter der Woche erarbeiten. Dass wir zu einfache Gegentore kassieren. Und dass wir mit Leuten spielen müssen, die zurzeit nicht in der Verfassung sind, Oberliga zu spielen!“ Doch das sollte nur der Anfang sein. Mehr davon folgt in den nächsten Tagen…

Autor: Dennis Kormanjos